Ein schmaler Band, große Themen: Hartmut Langes Der etwa vierzigjährige Mann vereint drei Texte, die sich mit der Konfrontation der Wirklichkeit beschäftigen und mit der Ablenkung davon, in die man flüchtet. Mit zeitloser Eleganz geschrieben, stößt der Schriftsteller in die Absurdität der menschlichen Existenz vor.
Wenn die Dinge ihren Zauber verlieren: Der Duft des Wals von Paul Ruban
Wenn der Familienurlaub zum letzten Strohhalm wird: Hugo und Judith begeben sich mit Tochter Ava in ein spanischsprachiges Urlaubsparadies, um die schal gewordene Ehe zu retten. Aber der abgestandene Gestank der verhärteten Ehe findet gleich am ersten Urlaubstag seine Entsprechung in einem gestrandeten Wal, der explodiert und das Urlaubsparadies in einen penetranten Gestank taucht. Multiperspektivisch, temporeich, humorvoll und mit satirischen Sprenkeln versehen, ist Der Duft des Wals des Kanadiers Paul Ruban ein vergnüglicher Sommerroman.
Wohin mit der Wut? Wenn wir lächeln von Mascha Unterlehberg
Jara und Anto sind beste Freundinnen, nennen sich aber lieber Schwestern. Und sie sind ziemlich aggro drauf: Mit Baseballschlägern bewaffnet, ziehen die Teenager durch die Stadt. Schaden nehmen aber eher Autos als Menschen. Es ist eine intensive Freundschaft, die, aus Jaras Sicht betrachtet, nicht immer auf Augenhöhe erscheint. Wie gut kennen wir unsere Freunde, wie gut kennen wir uns selbst? Wenn wir lächeln von Mascha Unterlehberg ist ein bemerkenswerter Coming-of-Age-Roman, strukturell originell, inhaltlich aufwühlend.
Sommermärchen: Das Leben fing im Sommer an von Christoph Kramer
Ein Erfolgsrezept: Ein großer Publikumsverlag veröffentlicht den Debütroman eines Fußballstars. Christoph Kramers autobiografische Erzählung Das Leben fing im Sommer an blickt zurück auf das Jahr des deutschen Sommermärchens, ein nostalgischer Punkt in der jüngeren deutschen Geschichte, in dem im Land alles in Ordnung erschien und die Deutschen ungewöhnlich optimistisch und zufrieden wirkten. Tatsächlich spielen Fußball und die Fußball-WM im eigenen Land in diesem konventionell erzählten, konservativen Coming-of-Age-Roman aber nur eine untergeordnete Rolle. Die Starspieler sind die erste Liebe und die Freundschaft in einem für den Protagonisten prägenden Sommer seines 15. Lebensjahres.
Menschliche Schlamassel: Starke Meinung zu brennenden Themen von Etgar Keret
Wer den neuen Kurzgeschichtenband Starke Meinung zu brennenden Themen von Etgar Keret beschreiben will, kann aus dem Vollen schöpfen: absurd, traurig, kurzweilig, rätselhaft, pointiert, verrückt, vernünftig – das sind einige der Adjektive, die passen. Stark am Puls der Zeit vereint Starke Meinung zu brennenden Themen über dreißig Erzählungen von erstaunlicher Originalität mit hoher Qualitätsdichte. An manchen Stellen könnte man meinen, der israelische Autor läutet das Post-Anthropozän ein.
Unerträgliche Leichtigkeit: Alles was lebt von Kristina Schilke
Kristina Schilkes Episodenroman Alles was lebt bringt uns in den Bayerischen Wald, wo Klara im Haus ihrer verstorbenen Eltern eine unheimliche Entdeckung macht: In einem Zimmer scheinen die Naturgesetze nicht zu gelten. Sobald man ihn betritt, beginnt man zu schweben. In der Folge begegnen wir weiteren Personen, die auf die eine oder andere Weise mit Klara verbunden sind und allesamt mit den Fallstricken des Lebens hadern.
Auf dem letzten Weg: Die Gabe von Suzumi Suzuki
Auch wenn Roman draufsteht: Suzumi Suzukis Debüt Die Gabe ist eher eine Novelle. Auf knapp mehr als 100 Seiten erzählt eine junge Frau in lakonischem Ton aus ihrem Leben im Rotlichtviertel Tokios und von ihrer sterbenden Mutter. Ein paar Wochen verbringen die Leser mit der Erzählerin, deren Leben leise, aber soghaft einem Endpunkt entgegensteuert.
I Never Know How Old I Was von David Joseph
Schlicht, alltäglich, flüchtig: Die Geschichten in David Josephs drittem Erzählband I Never Know How Old I Was erkunden zwischenmenschliche Beziehungen über alle Etappen gelebten und gefühlten Alters hinweg, ohne jemals Zeit zu schinden. Schnörkellos und ruhig, geradlinig und selten pointiert erscheinen die Erzählungen auf den ersten Blick unscheinbar, ziehen die Leser jedoch mühelos in ihren Bann.
Queer durch die Republik: Rauchzeichen für Rio von Micha Riegel
Rauchzeichen für Rio von Micha Riegel ist wie viele Debüts ein klassischer Coming of Age Roman, der uns in die 1990er Jahre entführt. Samu ist 16 und in seinem Heimatdorf im ländlichen Bayern unweit Würzburgs nicht gerade beliebt. Er ist anders, seine Homosexualität gewissermaßen ein offenes Geheimnis. Als ihn Max, der jüngste Spross des Bürgermeisters, unverhofft küsst, gerät die konservative Provinzidylle in Schieflage – und Samu muss um sein Leben fürchten. Er verlässt das Dorf in Richtung Frankfurt, wo es ihn, Schockverliebt in Lenni, aber nicht lange hält.
Abseits der Welt: Freundschaft und Vergeltung von Helmut Krausser
Es ist 1965 und der Erzähler von Helmut Kraussers neuem Roman Freundschaft und Vergeltung blickt fasziniert auf den neuen, einen Jahr älteren Mitschüler am Internat. Anthonys Perspektive auf den barschen, wortgewandten Chris Bradshaw erinnert etwas an Nicks auf Jay Gatsby – eine Figur “larger than life”, umhüllt in einer Aura des Geheimnisvollen. Der junge Mann bringt die Dinge am altehrwürdigen, aber finanziell auch ziemlich knappen Internat Raven Hall gehörig durcheinander – Ereignisse, die den blassen Erzähler ein Leben lang beschäftigen sollen.