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Freiheit: Eine unvollendete Geschichte im DHMD

Gemälde „Der Nachbar, der will fliegen“ von Wolfgang Mattheuer in Ausstellung Freiheit Eine unvollendete Geschichte im DHMD Ob The Hoff immer noch nach der Freiheit sucht? Der Titel der neuen Sonderausstellung im Deutschen Hygiene-Museum Dresden legt es nahe. Freiheit: Eine unvollendete Geschichte im DHMD macht deutlich, dass Freiheit kein permanenter Zustand ist – eher etwas, nach dem man strebt. Ein beständiges Werden. Das Konzept Freiheit ist auch, wie Annekatrin Klepsch in ihren Grußworten zur Ausstellungseröffnung am 19. Juni herausstellt, wandelbar – „vom Sehnsuchtsgefühl zu umstrittenem Begriff.“

Freiheit: Eine unvollendete Geschichte ist eine trinationale Ausstellung, die in Kooperation mit dem Nationalmuseum Breslau, der Nationalgalerie in Prag und dem Europäischen Solidarność‑Zentrum in Danzig entstand. Diese Kooperation ermöglichte nicht nur Austausch und Leihgaben, sondern auch eine grenzüberschreitende Perspektive auf das vielschichtige Freiheitsmotiv. Gleichwohl stellt man fest: Geografisch gesehen waren alle beteiligten Institutionen einst hinter dem – glücklicherweise gefallenen – Eisernen Vorhang situiert. Der Begriff der Freiheit hat hier also durchaus eine osteuropäische, politische Perspektive.

Selten waren in Schauen des DHMD so viele Exponate aus der Bildenden Kunst zu sehen wie in Freiheit: Eine unvollendete Geschichte. Und wie bereits die noch bis August parallel laufende Sonderausstellung zum Thema Luft, ist auch diese weniger interaktiv gestaltet als jene aus der jüngeren Vergangenheit. Möglicherweise sind hier die allseits monierten Sparzwänge spürbar. Die Schau bietet viel Kunst an den Wänden und umfangreichen Lesestoff, sodass man durchaus das Gefühl haben kann, eine Galerie zu betreten.

Das Thema der Freiheit wird zumindest in der ersten Hälfte der Räume sehr politisch angegangen, nämlich im Zuge von Protest- und Revolutionsbewegungen. Die Französische Revolution kommt ebenso zur Sprache wie der Drang nach Freiheit hinter dem Eisernen Vorhang. Die Freiheitsbewegungen in den drei hier kooperierenden Nationen nehmen den größten Raum ein. Die Ausstellung zeigt damit, wie es einmal war, und wirft die Frage auf, wie es denn heute in einem weitestgehend freien, demokratisch organisierten Europa um sie steht. Freiheit wird gezeigt als Begriff, der von verschiedenen Seiten des politischen Spektrums vereinnahmt wird – paradoxerweise heute eben auch von antiliberalen Kräften aus dem rechtskonservativen Lager.

Freiheit ist eben nie völlig realisiert. Freiheit ist als Begriff offen zur Interpretation, die sich im Tauziehen mit gesellschaftlicher Ordnung befindet. Ein Konflikt um Freiheit wird sichtbar in Fluchtbewegungen und nationalen Grenzen, zwischen freiheitlichen Gesellschaften und Kräften, die sich um Abschottung bemühen. Wie viel Freiheit können und wollen wir uns leisten?
Die Freiheit des Einzelnen stößt sich auch an der Freiheit aller. Ein wunderbares Beispiel dafür ist das Gemälde „Der Nachbar, der will fliegen“ von Wolfgang Mattheuer (Beitragsbild), das auf das Ikarus-Motiv rekurriert und einen Mann zeigt, der aus der Enge einer Kleingartensiedlung entfliehen will. Die Momente, in denen die Ausstellung hin zu verspielter, bildender Kunst tendiert, sind sicherlich die, die dem Auge die größte Freude bereiten und das Thema auf eine individuellere Weise involvieren.

Wolfgang Mattheuer: Hinter den sieben Bergen
Wolfgang Mattheuer: Hinter den sieben Bergen

Freiheit als Sehnsucht nach freier Entfaltung, Freiheit als manipulatives Versprechen: Hier lässt die Schau etwas Potenzial liegen. Haben die Bürger der einstigen Ostblockstaaten auch die zweifelhafte Freiheit gewonnen, von konsumkapitalistischen Konzernen beworben zu werden (Stichwort Marlboro-Mann)? Gehört zum Preis der Freiheit auch, dass man in ostdeutschen Städten nun mit hoher Wahrscheinlichkeit bei Westdeutschen Miete zahlt? Was ist mit den kleinen Inseln der Freiheit, die es in jeder noch so freien Gesellschaft gibt? Der Freikörperkultur in der DDR? Swingerclubs? Free-Tek-Parties? Und was ist mit dem Entzug der Freiheit im Rahmen des Strafvollzugssystems?

Freiheit: Eine unvollendete Geschichte im DHMD ist – wie immer in diesem Haus – eine gelungene Schau. Doch das Hygiene-Museum muss sich natürlich auch an vergangene Großtaten messen. Spielerischer und interaktiver war man in der Vergangenheit. Zwar gibt es kleinere partizipative Elemente – etwa die Freiheitsmurmelbahn, in der Besucher persönliche Freiheitsmomente notieren. Doch sie wirken weniger aktivierend als interaktive Formate früherer Schauen, etwa in Hello Happiness.
Die Schau zeigt dennoch: Zum Thema gibt es viel zu sagen. Sie stößt Gedanken an – Freiheit ist ein Begriff, der streitbar und schwer zu fassen bleibt – wie der Heliumballon, der in einem unachtsamen Moment dem Kind aus den Händen gleitet.

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Freiheit: Eine unvollendete Geschichte ist bis zum 31.05.2026 im Deutschen Hygiene-Museum Dresden zu sehen.

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