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Die Verzweiflung des Subjekts: Rejection von Tony Tulathimutte

Rejection von Tony Tulathimutte RezensionMit Rejection legt der Amerikaner Tony Tulathimutte einen hoch literarischen, rauschhaft lesbaren Text vor, der die Grenzen zwischen Erzählband und Roman verwischt. Rejection ist Fiktion nah am Zeitgeschehen aus längeren, miteinander verbundenen, aber autark funktionierenden Erzählungen. Die nach Anerkennung dürstenden und in ihrer eigenen Subjektivität gefangene Protagonisten werden in den brisanten Diskursen unserer digitalen Gesellschaft platziert – und zerbrechen daran. Zwischen Fremdscham, Unbehagen und absurdem Amusement zirkulieren diese Texte, um in einer Meditation über Fiktion zu kulminieren.

Schon die erste Erzählung „The Feminist“ könnte zeitmäßiger kaum sein. Die Erzählstimme haftet sich an einen unbenannten Mann (später stellt sich sein Name als Craig heraus), der ein vehementer Feminist ist und bei Frauen eigentlich nur als Freund landet. Bewandert in feministischen Diskursen, immer verständnisvoll für die Belange der Frauen, fehlt es ihm an Verständnis, warum er beim anderen Geschlecht einfach nicht ankommt. Es muss an seinen schmalen Schultern liegen! Abweisung folgt auf Abweisung, auf ewig gefriendzoned, bis die Friends eben selbst Familien gründen und wenig Platz für einen frustrierten Singlemann haben. Der Feminist gerät in Isolation und radikalisiert sich online zum Incel – bis zum großen Knall.

Gleich die folgende Erzählung greift diese Themen auf, allerdings aus der Perspektive von Alison. Die hat wenig Erfolg in Beziehungsdingen. Sie hatte sogar mal ein Date mit Craig! Hier erfahren wir auch, dass es nicht zwingend an seinen schmalen Schultern liegt, warum er nie ankam, eher daran, dass sein Interesse am Gegenüber einstudiert, nicht authentisch wirkt, darauf ausgelegt ist, zu gefallen. Das ist natürlich nicht sexy. Ganz so sexy findet Alison eigentlich auch nicht Neil, mit dem sie relativ eng befreundet ist. Zusammen essen sie und streamen Reality TV. Als der Stream mal Buffering-Probleme hat, kommt es dann doch zum Sex. Alisons Gedankenwelt gleitet dann in eine harmonische Beziehung – schließlich sind sie Freunde, und Neil hat einen großen Schwanz! Aber Neil macht von Anfang an klar: Das ist nur ein Ausrutscher gewesen. Die Sache wird für Alison zur Obsession, die letztlich nicht nur ihre erfolgreicheren Freundinnen im Gruppenchat entfremdet. Auch ihr Weg neigt sich in Richtung Isolation – mit grotesken Ausmaßen.

Anerkennung, Verbindung, romantische Vorstellungen von Liebe: Zwischenmenschlichkeit scheint als zutiefst unsicher in unseren digitalen Räumen, in denen Verbindung und Verbindlichkeit eine Illusion sind. In „Ahegao“ treffen wir Kent, wie Tony Tulathimutte Thai-American, der sich Anfang dreißig dazu durchringt, sich per E-Mail zu outen. Aber: Das Outing hat sein wahres Selbst noch nicht in die Wirklichkeit gesprochen:

„Beyond the inertia and under-confidence, the deeper problem, and the main reason Kent took so long to come out, is that he is also a sadist. He has known this even longer than he’s known he was gay.“ (S. 93)

Kent blickt auf eine Geschichte des brutalen Mobbings aufgrund seiner ethnischen Zugehörigkeit und Nerdigkeit zurück, die auch in einem Rückzug in digitale Welten (Gaming) mündete. Dennoch lernt er unverhofft einen netten, hübschen, weißen Mann kennen. Doch Kent hat das Problem, dass er seine sadistischen Neigungen unterdrückt – es ist schließlich eine sexlose Beziehung ohne Zukunft.

Gender, Sexualität, digitale Entfremdung und Race informieren diese Erzählungen, die Stück für Stück die Auflösung des Selbst vorantreiben. Man könnte zum Schluss kommen, dass Tony Tulathimutte das Labeling problematisch findet, weil selbst die Labels, die wir uns und anderen auferlegen, (sprachlich) höchst instabil sind und nie die ganze Geschichte erzählen. In der zutiefst metafiktionalen und ausschließlich im Internet spielenden Erzählung „Main Character“ hat die Protagonistin ihr Gender für 22 Dollar verkauft und lehnt die Zuordnung zu Labels wie Thai- bzw. Asian-American konsequent ab – und gerät dafür ebenfalls in Isolation.

Die Krone setzt Tony Tulathimutte dem originellen wie klugen Bandes mit dem Text „Re:Rejection“ auf: Dieser Text ist aus lektorischer Sicht an Tony Tulathimutte gerichtet und begründet die Ablehnung zur Publikation von Rejection. Er liefert uns also die kritische Analyse seines Bandes gleich mit und vollendet sein Spiel um Identität und Fiktion: Es geht in Rejection eben auch um den Akt des Veröffentlichens, (un)absichtliche Versuche, das Selbst der Welt bekannt/lesbar zu machen – ein beängstigender Prozess, der ob der Instabilität des Selbst und der Diskurse, die es formen, immer schon zum Scheitern verurteilt ist.

Rejection ist ein Triumph literarischen Schreibens.

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