Die geballte Ladung Tanzmusik zu einer Zeit, in der man höchstens zu Hause ein bisschen schwofen darf: Traumprinz veröffentlicht ein neues Album (als DJ Metatron) und zwei EPs (als The Phantasy) simultan, acht Platten, fast drei Stunden Musik – und kein Rave in Sicht. Aber das ist gar nicht so unpassend: Vor allem Loops of Infinity (a Rave Love Letter) des DJ Metatron Pseudonyms ist eine nostalgische Reminiszenz an Trance aus den 90er Jahren, also an Partys, bei denen das Licht längst angegangen ist. Transportiert werden quintessentielle Rave-Botschaften von Transzendenz und Heilung, die uns durch den Lockdown trösten sollen.
Drei Stunden Musik, wo fängt man bloß an? Die größte Neugier gilt dem neuesten Pseudonym, The Phantasy. Der ersten der zwei EPs liegt ein von Hand unterschriebenes Foto bei – herrlich selbstironisch – möglicherweise zeigt es den Künstler selbst. Ibiza ist ein Titel, den man von Traumprinz erst einmal nicht erwarten würde und verweist auf einen Humor, der auf den jüngeren Veröffentlichungen ziemlich abwesend war. Das Intro von Teil eins gibt sich ungewöhnlich selbstbewusst, wir hören einen amerikanischen Fernsehansager, der die folgende Performance vollmundig ankündigt – “the full range of emotion”, “an international sensation”. Die erste Musik folgt mit “Springbreak”, das so klingt wie man sich Springbreak auf Ibiza vielleicht vorstellt. Zu hören sind Synthie-Fanfaren, die nach Konserve klingen. Einen Beat gibt es nicht, es ist eher eine kurze Skizze und wenn man die folgende Musik hört, ist sie wohl eher als augenzwinkernde Finte zu verstehen: Das folgende “U See That” kommt dann mit satt boomender Bassline flankiert von funky Keyboard Akkorden und frechem Disco Diva Sample aus den Boxen (“You see I know I got a good thing”).
“U See That pt. II” klingt etwas wie die introvertierte Schwester des ersten Teils, variiert dessen Rezeptur aus schmissigem Beat, House Chords und Vocal Sample (“It’s the inside that counts”) zwar nur unmerklich, kuschelt sich aber in ruhige, endlose geloopte Streicher, was den Song ungleich ruhiger erscheinen lässt, aber dennoch tanzbar bleibt. “Just Dance” schiebt dafür einen dubbigen Subbass unter die Bassdrum und hissenden High-Hats. Ein Streicher-Sample schmiegt sich an. Ein Vocal Sample erinnert uns an die heilenden und einende Kraft des Tanzens. Auf der Tanzfläche sind wir alle gleich.
Das große Kunststück des Produzenten ist, ohne die Formsprache der Stile, die er unter dem jeweiligen Pseudonym adaptiert, zu verändern, eine ganz eigene Emotionalität aus ihnen zu zaubern. Das ist manchmal, wie auf dem The Healer Projekt, nah am Kitsch, dies aber stets genuin und nie aufgesetzt.
Während der erste Teil der Ibiza EPs aus längeren House Nummern besteht, die mit kurzen Ambient Stücken alterniert werden, flirtet der zweite Teil etwas mehr mit Pop und bringt es auf 14 teils weniger als zwei Minuten lange Stücke. Mit “My Weekend” ist geradezu ein richtiger Hit gelungen, der in der digital geleakted Version The Weeknd samplet und so auch im Radio laufen könnte. Ein echter Happy Place House, mit flottem Beat und simpler Keyboard-Melodie. “Hiddentrack” ist ein weiterer Pop-Moment, der großzügig “The Time Is Now” von Moloko zitiert.
DJ Metatron – Loops of Infinity (a Rave Loveletter)
Mit diesem Verweis auf die 90er würde “Hiddentrack” durchaus auch auf die mit 29 Titeln überschäumende Tracklist von Loops of Infinity passen. Der Sound ist aber hier ein ganz anderer. Während The Phantasy an frühe Veröffentlichungen unter dem Traumprinz-Alias erinnert und zwischen House und Ambient oszilliert, zieht er als DJ Metatron das Tempo an. Los geht es wieder mit einem Intro, auf dem er wie schon auf der letzten EP die “Rainbow Coalition”-Rede von Jesse Jackson zitiert, die dieser einst für den Parteitag der Demokraten hielt. Nur ist die Rede derart editiert, dass sich der Appell nicht mehr an eine politische Partei („democratic party“) richtet: “Tonight we come together bound by our faith, with genuine respect and inheriting the legacy of a great party. This is not a perfect party. We are not a perfect people. Yet, we are called to a perfect mission“, heißt es nun programmatisch. “A Perfect Mission” prescht kurz darauf mit einer unnachgiebig klopfenden Bassdrum direkt auf die Tanzfläche. Eine surrende Synthie-Spur spukt im Hintergrund, im Vordergrund leuchten aufgeregt ein paar Effekte und Keys.
Hier wie auf dem folgenden, schon eher in Richtung Trance weisenden “Chemical Process” werden die Vocal Samples – jetzt ruhig gesprochene Worte und keine Soul Divas – gelooped wie Mantras der Transzendenz. Auf “energy – flow – eternity” folgt ein ad infinitum wiederholtes “memory is a chemical process”. Die Botschaft wird uns mit einer mächtigen Bassdrum eingehämmert, bis sie verschwindet und funkelnde Synthesizer übrigbleiben – wir sind angekommen in der Katharsis, es bleibt “extasy”.
Oder sind das nur Erinnerungen an vergangene Ektase – „inheriting the legacy of a great party“? Es folgen viele Tracks, die mit Loop und einer Jahreszahl überschrieben sind. Loops of Infinity ist ein nostalgischer Liebesbrief an die Raves der 90er Jahre. In diesem Sinne hat das Projekt durchaus Ähnlichkeiten mit Burial, der seine Liebe für einen Underground, den er selbst altersbedingt nie so richtig miterlebte, in verrauschte Echos dieser Zeit übersetzte. Bei “Move on” nähert sich Traumprinz sogar kurz dem Burial Sound mit seinen wispernden, oft kaum zu entziffernden Vocal Samples, dem Breakbeat und den schwummrigen Pads an, bleibt aber der eigenen Handschrift unverkennbar treu. Den Mittelteil von Loops of Infinity machen kurze Tracks aus, skizzenhaft wie Erinnerungsfetzen an einen längst verlebten Rausch. Große Synthesizer Melodien und evokative Vocal Samples, mal mit Breakbeats, hämmernden Bassdrums oder ohne Rhythmus geben sich die Klinke in die Hand. Gegen Ende wird es wieder geradliniger, die Tracks länger. Mit “Gate Two” kommen wir in einem Ton gewordenen Serotoninrausch an, getragen von einer simplen Synthmelodie wie ein Leuchtsignal der Glückseligkeit auf einem fedrig boomenden Bass.
Es wird eine ganze Lockdownphase brauchen, um diese drei Stunden Musik wirklich greifen zu können. Es ist, soviel kann man sagen, eine willkommene Rückkehr zu alter Stärke nach zuletzt zwar guten, aber auch durchwachsenen Veröffentlichungen. Und die Musik hätte zu keinem besseren Zeitpunkt kommen können, als Tanzmusik für die tanzbefreite Lockdown-Phase lädt sie ein, zu erinnern, was man sonst vielleicht für selbstverständlich hielt – sich mit anderen tanzenden Leibern in der eigenen Bewegung zu verlieren.
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