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Zuhause wurde nicht geküsst: Offene Gewässer von Romina Pleschko

Offene Gewässer von Romina PleschkoNach der scharfzüngigen Ameisenmonarchie geht es in Romina Pleschkos zweitem Roman Offene Gewässer raus aus der Stadt und rein in die Gemeinde Liebstatt. Der Leser begleitet die Ich-Erzählerin Elfi vom Kindes- ins Erwachsenenalter. Schelmisch erzählt, ist Offene Gewässer das Portrait einer eigenwilligen Person und ihrer Suche nach Geborgenheit.

“Den Wunsch nach Gesellschaft jedoch gab ich niemals auf” (12): Wir begegnen Elfi in jungen Jahren, nachdem sie die Großmutter zu sich genommen hat und sie erst versucht, Vogeleier auszubrüten und später Küken aus ihren Nestern entführt. Der Traum vom Haustier soll sich nie erfüllen. Zur Großmutter ist sie gekommen, weil es in Stuttgart einen Prozess gegen die Eltern gab. Was es damit auf sich hat, erfährt der Leser nie. Wortgewandt und im Ton einer Schelmin erzählt uns Elfi aus ihrem Leben, ohne uns aber in die großen Brüche ihres Lebens einzuweihen. Assoziativ und episodenhaft und wortreich zugleich kommentiert sie ihr Leben für den Leser, dem dadurch fabelhafte Sätze geschenkt werden zum Preis der Zurückhaltung bezüglich ihrer Traumata.

Die Erzählung ist – und das ist bei einer Ich-Erzählung nur folgerichtig – unangepasst, eigensinnig, witzig und traurig. Und das nicht selten in einem einzelnen Satz. Nachdem Elfi ihre Versuche, Vogelmutter zu werden, aufgegeben hat, erfahren wir von Episoden im Konsum, in dem ihre strenge Großmutter arbeitet, der katholischen Schule, in der es sie nicht lange hält, vom Schwimmverein, bei dem sie sich etwas durchschummelt und wie sie sich in ihrer Freizeit mit älteren Damen anfreundet:

Trotz meines eigenen Alters begriff ich den unausgesprochenen Konsens der jungen Menschen nicht, das Alter von sich weg zu abstrahieren, nur um später punktgenau dort zu landen, aber unvorbereitet, in tonlosem Entsetzen darüber, plötzlich wie aus dem Nichts als nutzlos zu gelten (79).

Der Stil ist der Star. Aber worum geht es hier noch? Offene Gewässer erzählt von einer, die nie so richtig dazugehört, ohne aber eine Ausgestoßene zu sein, von einer, die Gemeinschaft und Geborgenheit sucht, sie in ihrer Gesellschaft aber nicht finden oder halten kann. Konfliktscheu, distanziert, wenig individuell erschienen die Menschen in Liebstatt. Nur einer hat es ihr angetan, “der Mann”, von dem sie schon zu Schulzeiten weiß, dass sie ihn heiraten wird. Doch als sie irgendwann heiraten, sagt die Großmutter nur: “Das wird nix werden, Elferl, das seh ich jetzt schon” (130). Danke für die Warnung, pünktlich zum Hochzeitstag, nach der Eheschließung! Und sie behält auch noch recht. Damit endet der erste von zwei Teilen. Im zweiten begegnen wir Elfi dann als geschiedene Frau. Der zweite große Bruch nach den Eltern – und wieder schweigt sie sich aus. Dieses Zurückhalten jener Informationen, die den Leser natürlich am meisten interessieren – seien wir ehrlich: Tratsch – wird nicht jedem schmecken. Doch es öffnet den Text, lenkt die Aufmerksamkeit auf die Sprache und die Atmosphäre, die sie erzeugt.

Offene Gewässer ist kein gewöhnlicher Roman, aber ein guter.

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Offene Gewässer ist bei Kremayr & Scheriau erschienen.

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