Autofiktion, Queerness, das Spiel mit den Wahrheiten: Bret Easton Ellis’ erster Roman seit 13 Jahren The Shards ist durchaus nah am Puls der Zeit – gefiltert durch eine nostalgisch durchtränkte Erzählung, die 1981 spielt. Ellis ist Autor, Erzähler und Hauptfigur zugleich, mischt wie bei seiner Stephen King Hommage Lunar Park Biografie mit Fiktion und lässt geradezu detailversessen die frühen 1980er Jahre auf dem Papier wiederauferstehen. Ursprünglich seriell als mündliche Erzählung in seinem Podcast erschienen, ist The Shards nach dem eher mauen Imperial Bedrooms eine gelungene Rückkehr auf die literarische Bühne, die aber nicht ohne Längen ist.
Bret Ellis ist 17 und beginnt das letzte Schuljahr an der Buckley Highschool. An der Privatschule sind alle hübsch, verwöhnt und ein bisschen abgestumpft. Bret ist Teil der In-Gruppe um Susan, der Schulsprecherin, und ihrem Freund Thom, Kapitän des Football Teams. Ebenfalls dazu gehört Debbie, Freundin von Bret und Tochter eines einflussreichen Filmproduzenten. Nicht ganz so beliebt ist Matt, der Stoner der Schule, mit dem Bret Nachmittage nackt im Pool und auch im Bett verbringt.
I was in a uniform, a costume, pretending to be the boyfriend, taking a year’s worth of classes I had no interest in, disguising myself: I was an actor and none of this was real (81).
Irgendwie das letzte Jahr durchstehen: Bret spielt eine Rolle, sonnt sich im Schein seiner populären Freunde, will aber eigentlich nur weg an irgendein College an der Ostküste, um der Charade zu entfliehen und seine literarischen Ambitionen zu erfüllen. Zur Schule gehen, mit Debbie Händchen halten, nachmittags an seinem Roman Less Than Zero arbeiten – so stellt er sich das vor. Doch es kommt anders: Ein an die Manson Family erinnernder Kult treibt in Los Angeles sein Unwesen, ebenso wie ein Serienmörder, The Trawler. Brets Paranoia – ob seines doppelten Spielchens mit seiner Sexualität ohnehin schon präsent – vertieft sich, als mit Robert Mallory ein neuer, mysteriöser und – natürlich – unheimlich attraktiver Schüler die Gruppendynamik durcheinanderbringt. Denn Robert hat Geheimnisse, er lügt und er drängt sich zwischen das Traumpaar Susan und Thom, bringt Wirbel in die heimliche Affäre zwischen Matt und Bret. Als Matt schließlich verschwindet und brutal misshandelt tot im Pool gefunden wird – es aber offiziell als Unfall abgetan wird und sich keiner weiter darum kümmert, beginnt Bret, der angehende Schriftsteller, eine Verbindung zwischen Robert und The Trawler herzustellen. Verliert er sich in einem Hirngespinst oder in den Fängen eines psychopatischen Killers?
Gucci Pillendosen, Kokain, Poolparties, Sexszenen eingefangen mit der Schärfe einer pornografischen Kameralinse: Die Marker einer klassischen Bret Easton Ellis Erzählung sind alle da. Doch während The Shards von der Zeit und dem Milieu gesehen so etwas wie ein Zwilling des Debütromans Less Than Zero ist, unterscheidet sich dieser Roman nicht nur in seiner opulenten Länge von – je nach Ausgabe – über 500 bis 700 Seiten, sondern auch hinsichtlich Plot und Erzählsituation. Less Than Zero war Ellis’ Versuch, Taubheit als Gefühl auf das Papier zu bringen. Es ist ein schmaler, elliptischer Roman, der sich in kurzen, wie von der Kamera eingefangenen Szenen erzählt und nur eine rudimentäre Handlung hatte – die Form ist der Inhalt. The Shards ist – wie Less Than Zero – ein Coming-of-Age Roman, der aber sehr stark von seinem Plot getrieben ist: Es ist, gewissermaßen, ein Highschool Thriller und ein metafiktionales Spiel mit der Wahrheit – die Biografie des Autors vermischt sich mit dessen jugendlicher Imagination. Dahingehend ähnelt der Roman also eher Ellis’ Romanen Lunar Park und Glamorama.
Man kann The Shards also als Amalgam verschiedener Schaffensperioden des Autors bezeichnen, das aber hinter den beiden Klassikern des Autors – American Psycho und Less Than Zero – zurückbleibt. Zurückzuführen ist das auf die Entstehungsgeschichte des Textes: Über ein Jahr lang las Ellis Kapitel des Romans alle zwei Wochen im Rahmen seines Podcasts vor. Längere szenische Beschreibungen machen in diesem Setting durchaus Sinn – genauso wie Rückgriffe auf Ereignisse, die einige Kapitel vorher geschehen sind. Auf dem Papier bläht das den Text allerdings unnötig auf. Man kann ganze Szenen überspringen, ohne wirklich viel zu verpassen – es sei denn, man hat ein tieferes Interesse an 80er Jahre Highschool Ennui und Popkultur.
Ist The Shards also ein Best-off Ellis’ Schaffen mit einigen Schwächen? Ja – und nein. In mancherlei Hinsicht erinnert The Shards etwas an Tarantinos Once Upon a Time in Hollywood, eine nostalgische, detailverliebte alternative Geschichte (oder Biografie), die nochmal einen Aspekt unterstreicht, unter dem Ellis’ Text eher selten diskutiert werden – ihre Queerness. Taubheit, das Gefühl an der Gesellschaft nur als Schauspieler teilzunehmen, der Irrsinn, dem ein Subjekt in dieser Situation verfallen kann, treten hier in The Shards so vordergründig hervor, wie nie, auch wenn sie schon in frühen Texten, allen voran American Psycho, durchaus präsent waren.
The Shards ist eine gelungene Rückkehr eines der größten Stilisten seiner Zeit – allerdings mit kleineren Schwächen.
*
Diese Rezension bezieht sich auf den englischen Originaltext. Es handelt sich um die Picador Taschenbuch Ausgabe.
Dieser Blog ist frei von Werbung und Trackern. Wenn dir das und der Inhalt gefallen, kannst du mir hier gern einen Kaffee spendieren: Kaffee ausgeben.