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Eröffnung: Von Genen und Menschen im DHMD

Von Genen und MenschenVon Genen und Menschen: Wer wir sind und werden können: So lautet der weitgefasste und neugierig stimmende Titel der neuen, am 10. Februar feierlich eröffneten Sonderausstellung im Deutschen Hygiene-Museum Dresden. Der Andrang war groß: Lange Schlangen vor der Garderobe, der große Saal war fast bis auf den letzten Stuhl gefüllt. Und selten wurde im Foyer so ausgiebig getanzt. Am liebsten dreht sich der Mensch eben um sich selbst.

Genetik ist ein Feld, auf dem sich in den letzten Jahren in kürzester Zeit viel getan hat. So war die Keynote “Das Genom – Zwischen Müll und Heiligem Grahl” von Dr. Bernhard Kegel nicht nur ein Best-Off aus dem Bio-Leistungskurs, der inzwischen viel zu lange zurück liegt, sondern eben auch gefüttert mit allerhand neuen Entwicklungen, die sich seit dem Abitur ergeben haben. Von der Entschlüsselung des menschlichen Genoms im Rahmen des Humangenomprojekts im Jahr 2021 zur Epigenetik, der im Rahmen der Ausstellung große Bedeutung zukommt, bot die Keynote einen erhellenden Einblick in den aktuellen Stand der Forschung. Einleuchtend war beispielsweise Kegels Analogie zwischen Genom und Klavier. Ei, Raupe, Puppe, Schmetterling: Drei Phänotypen, aber nur ein Genom. Wie kann das sein? Ein Pianist spielt nicht alle Tasten des Klaviers gleichzeitig. Ähnlich sind nicht alle Kombinationen in jeder Zelle gleichzeitig aktiv. Wie komponiert sich das Leben?, ist sodann eine der Kernfragen, der die von Dr. Viktoria Krason kuratierte Ausstellung in vier Räumen nachgeht. Das Zusammenspiel zwischen Genen und Umwelt ist besonders im zweiten Teil der Ausstellung wichtig.

Der erste Raum in Von Genen und Menschen ist mit “Herkunft” überschrieben. Geografische Herkunft, Migration und Ahnenforschung (z.B. in Form kommerzieller DNA-Analysen) werden hier thematisiert, überwiegend in Form von Videos und mit Texten. In diesem wie auch in anderen Teilen der Ausstellung steht nicht die Wissenschaft von den Genen im Zentrum des Interesses, sondern wie die Forschung das gesellschaftliche Zusammenleben beeinflusst. In diesem ersten Raum werden sodann Fragen zu Herkunft und Identität – auch in ethnischer Hinsicht – aufgeworfen. Anschaulich wird das beispielsweise am Cheddar Man gemacht. Überraschende Einsichten werden präsentiert, darunter auch, dass Überbleibsel des Neandertalers in Australien prozentual am stärksten ausgeprägt sind. Schade ist, dass der Raum wie sonst in den Ausstellungen des Hauses nicht aktiv in die Exponate eingebunden wird – der ohnehin dunkel gestaltete Raum setzt etwas trocken auf Informationsvermittlung.

Der zweite Raum nähert sich Genetik über den Begriff der Identität: Wie sehr bestimmen unsere Gene über unser Selbst? Es ist der Raum, in dem die Epigenetik die Hauptrolle spielt. Anschaulich gemacht wird das anhand der Zwillingsforschung. Die Ausstellung stellt eine Studie über getrennt voneinander aufgewachsener eineiiger Zwillinge vor. Trotz verschiedener Umwelteinflüsse ähnelten sich diese nicht nur in ihrer Gestalt, sondern auch in anderen Merkmalen, die gleichwohl schwerer objektiv zu qualifizieren sind (beispielsweise ihrem Temperament). Ebenfalls beleuchtet Von Genen und Menschen in diesem Abschnitt Sexualität und Geschlechtsidentität – und unter anderem die Ängste und Hoffnungen, die unter dem Gesichtspunkt der gesellschaftlichen Akzeptanz auf den Genen liegen (die These wäre hier, dass eine genetische Determination von Sexualität und Geschlechtsidentität zu weniger Diskreminierung führen). Interessant wäre gewesen, dieses Thema mit der Zwillingsforschung zu verknüpfen – schließlich gibt es eineiige Zwillinge mit unterschiedlichen Sexualitäten.

Der dritte Raum widmet sich der Gesundheit, ein Feld, auf dem die Genetik ganz naheliegend den größten Effekt hat. Es ist der vielleicht aufregendste Raum der Ausstellung, allein anhand der Informationen, die er präsentiert und des größeren Anteils interaktiver Exponate. Hier wird über das Potential von Fortschritten in der Genetik bei der Bekämpfung von Krankheiten informiert, aber auch nach der Ethik eventuell folgenschwerer Eingriffe in das Genom des Menschen gefragt. Dies beginnt bei der Gentherapie als großer Hoffnungsschimmer gegen Krebs und durchaus schaurigen Eingriffen in die Keimbahn. Könnte das die Box der Pandora darstellen?

Von Genen und Menschen
Gleich zwei mal ausgestorben: Der Pyrenäensteinbock

Der letzte Raum geht einen Schritt weg von der Wissenschaft und widmet sich eher künstlerischen Auseinandersetzungen mit dem Thema. Thematisiert wird u.a. der Pyrenäensteinbock, der gleich zweimal Ausstarb, nachdem ein Klonversuch 2003 ein nur wenige Minuten lebendes Kitz hervorbrachte (zu sehen ist ein Videomitschnitt der Geburt und des Todes des Tieren sowie bezugnehmende künstlerische Arbeiten). Ein Highlight hier ist das musikalische Exponat “I’m Humanity” von Etsuko Yakushimaru, der es gelang, musikalische Informationen in die DNA von Mikroorganismen einzubringen. Diese genetisch kodierte Musik wird durch die Reproduktion der Mikroorganismen noch hier sein, lange, nachdem der Mensch ausgestorben ist. Faszinierend.

Von Genen und Menschen arbeitet ein komplexes und weitreichendes, hochaktuelles Thema nuanciert aus. Es ist eine Ausstellung, die viel vermittelt – mehr als man in einem Besuch fassen kann. Im Vergleich zu zurückliegenden Ausstellungen ist sie leider eher farblos und selten wirklich interaktiv geraten – diese zwei großen Stärken des Hauses werden also durchaus vermisst. Nichtsdestotrotz: Sie lohnt!

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Von Genen und Menschen: Wer wir sind und werden können kann bis zum 10.09.2023 im Deutschen Hygiene-Museum Dresden besucht werden.

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