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Out Of Place Artefacts II von Vril & Rødhåd

OUT OF PLACE ARTEFACTS - II - WSNWG010 Out Of Place Artefacts sind Objekte, die in einem ungewöhnlichen Kontext gefunden werden. Ihnen wohnt also etwas Rätselhaftes, Mystisches inne – als würde man einen iPod in einer antiken Ausgrabungsstätte finden. Aus diesem konzeptionellen Überbau haben die beiden Produzenten Vril und Rødhåd 2020 ein gemeinsames Projekt geschaffen, das ihre Fähigkeiten zu einer perfekten Symbiose verschmilzt und nun seine Fortsetzung findet. Und anders als man es von Filmen kennt – eine gewisse Sci-Fi Ästhetik wohnt auch Out Of Place Artefacts II inne – ist die Fortsetzung tatsächlich noch ein Stück besser als der bereits überaus stimmige Vorgänger.

Out Of Place Artefacts II ist – seinem Namen treu – schwer zu bestimmen. Irgendwo zwischen den Koordinaten Ambient, Downtempo, Dubstep und Dub Techno ist es ein ganz eigenes, idiosynkratisches Gebräu – was bei den Namen hinter dem Projekt kaum verwundern mag. Vrils mächtigen, wie aus Marmor gemeißelter Sound hört man aus jeder Playlist heraus, ohne auf die Tracklist zu schauen, seit er auf dem Weimarer Label Giegling Anfang der nuller Jahre auf dem Radar erschien. Dieses Gewicht, das seinen Produktionen zu eigen ist, wirft er auch hier in die Waagschale. Rødhåds Diskografie weist zu gleichen Teilen Ambient und Techno Veröffentlichungen auf, wenngleich das frenetische Tempo von Peak Time Techno Sets hier außen vor bleibt.

Aber kommen wir zum Eingemachten: “Pangaea” schält sich mit sphärischen Pads schwummrig astral aus den Boxen wie eine Beschwörungsformel zum Einlass in eine Welt, die man so nicht kennt. Ein sonores Brummen, Synth-Arpeggios intensivieren die Dramatik, bis sich spät das stete Klopfen einer von Hi-Hats begleiteten Bassdrum einfindet. Wer hier nicht schon gefangen ist, ist am falschen Ort. Das folgende “Weltron” stampft ohne atmosphärisches Vorspiel direkt aus der Box, begleitet von funkelnden Pads als hätte man sie direkt aus dem Kosmos abgefangen. Apropos Kosmos: Irgendwie muss ich an “Army of Me”-Ära Björk denken, die man sich hier als Vokalistin sehr gut vorstellen könnte. Vielleicht fragt man sie für Teil drei mal an?

Später, auf der B-Seite, empfängt uns “Universian” (diese Titel, herrlich!) mit einem schwummrigen, irgendwie melancholischen Ton, der durch den ganzen Track wabert, begleitet von großen Drums, die man aus den 80ern importiert hat, mit Synthesizern wie helle Sterne über verlorener Großstadt-Melancholie. Texturiert, atmosphärisch, detailliert und mit einer brummenden Körperlichkeit nehmen die Tracks den Hörer ein – Licht ausschalten, auf Reisen gehen. Weniger mitnehmend, aber ein gutes Beispiel, wie Vril & Rødhåd an diesen einzelnen Elementen der Tracks meißeln, ist das Drone-Experiment “Black Goo”, in dem verwaschene Bassschläge durch dissonante Momente von kristalliner Schönheit und verzerrtem Schrecken platzen. Auf der Spur folgt das Highlight und, da lege ich mich fest, der beste Dubstep Track der letzten zehn Jahre, “Meliorism”. Aus elektrischem Rauschen (perfekter Übergang vom experimentellen Vorgänger!) erhebt sich ein in sonorem Surren gebetteter Halfstep. Ein wuchtiges Brett von einem Track, derer es auf der 2020er Veröffentlichung noch fehlte.

Die zweite Scheibe gerät nicht ganz so aufregend wie die erste. Sie beginnt aber durchaus ähnlich: “Nibiru” baut sich wieder prickelnd, von leichtfüßigen Percussions begleitet, auf, während etwas tiefer im Mix eine niederfrequente Melodie dudelt, die alsbald mit einer helleren, vordergründig platzierten Melodie um des Hörers Gunst buhlt. Out Of Place Artefacts II zeigt Tracks wie Ausgrabungsorte: unheimlich detailliert raschelt, brummt und funkelt es in diesen Stücken entrückter Verwunderung. Und dies auf konstant hohem Niveau. Einzig “Security Loop” am Ende der C-Seite fällt polternd aus dem Rahmen. Breitbeinig mit stark verfremdeten Vocal Samples heißt es “wir machen Musik, also…”, eine Selbstvergewisserung, die, wenn auch spielerisch, hier absolut unnötig ist. Es ist gerade dieses rüpelhaft-verspielte, das den Hörer aus der wunderbar wundersamen Atmosphäre des Albums holt.

Diesem Patzer zum Trotz ist Out Of Place Artefacts II ein unglaublich homogenes, idiosynkratisches Stück Musik, das zum Besten zählt, was ich dieses Jahr zu hören bekommen habe.

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Out Of Place Artefacts II ist u.a. via Bandcamp erhältlich.

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