Allgemein

Schlammige Gewässer: Missouri von Christine Wunnicke

Missouri von Christine WunnickeDas klingt doch nach einer explosiven Mischung: In Missouri lässt Christine Wunnicke einen englischen Dichter auf einen amerikanischen Revolverhelden treffen. Die knappe Erzählung begibt sich auf Brokeback Mountain-Terrain, ohne das Melodrama, dafür mit viel lakonischem Witz. Leser können sich auf eine kurzweilige Tour de Force durch einen wirklich wilden Westen freuen.

1832: In London beschließt Douglas Fortescue der größte Dichter seit Lord Byron zu werden. Das beginnt damit, dass er sich die Haare schwarz färbt und die Brust rasiert. Vielleicht wäre Dramatiker ja auch eine gute Wahl gewesen. An der Dichtkunst selbst liegt ihm aber wenig – bekannt zu sein schon eher. Etwa zur gleichen Zeit in den USA: Josh Jenkyns ist der Sohn eines berüchtigten Gangsters und ein Naturtalent, was das Schießen angeht. Irgendwann liest ihm jemand Byron vor – er ist gefangen. Etwas später lernt er lesen und wird zum größten Fan von Douglas Fortescue, dessen Beschreibung eines “river / A muddy brown like coffee” diesen an den geliebten Fluss Missouri erinnert. Während er also mordend und raubend durch die USA reitet, hat er immer ein paar Gedichtbände im Gepäck. Ungefähr zur gleichen Zeit beschließt Douglas Fortescue, dass er auf die Sache mit dem Ruhm als Dichter eigentlichen keinen Bock mehr hat. Zusammen mit seinem Bruder Jeremy emigriert er in die USA. Man will sich ein Stück Land kaufen, die Dichtkunst wurde inzwischen zugunsten der Fotografie aufgegeben.

Damit hat Missouri schon einmal etwas, das eine unterhaltsame Geschichte braucht: zwei unverwechselbare Protagonisten. Einerseits der gewaltaffine, schroffe Gangster, auf der anderen der schrullige Dichter. Beide treffen sich, als Josh die Kutsche des Dichters überfällt. Er nimmt ihn kurzerhand als Geisel, ohne wirklich zu wissen, was er mit dem Mann, dessen Gesichte er auswendig kennt, anfangen soll. Indes will der zurückgebliebene Jeremy seinen Bruder zurück – was sich schwierig gestaltet, da sich niemand mit Josh anlegen will (es glaubt ihm auch niemand, da Josh dafür bekannt ist, keine Geiseln zu nehmen).

Missouri ist eine kurze, groteske Erzählung, die mit den Konventionen des Westerns spielt. Gattungstechnisch ist sie schwer einzuordnen: Missouri war eigentlich Teil Wunnickes Debütromans Fortescues Fabrik (1998), wurde für die Neuveröffentlichung im Albino Verlag jedoch neu überarbeitet. Für eine klassische Kurzgeschichte zu lang, könnte man den Text durchaus als Novelle bezeichnen, ausgeschält aus einem ursprünglich über 400 Seiten langen Roman, um diese queere Liebesgeschichte in den Fokus zu rücken. Ein kurzes, aber gutes Vergnügen!

*

Missouri ist bei Albino erschienen.

Dieser Blog ist frei von Werbung und Trackern. Wenn dir das und der Inhalt gefallen, kannst du mir hier gern einen Kaffee spendieren: Kaffee ausgeben.