Das Stuttgarter Duo BRTHR hat mir im zurückliegenden Jahr das einzige wirkliche Konzerterlebnis geschenkt, als die beiden im Rahmen des Palais Sommer spielten. Beinah psychedelisch klingende Americana Nummern schallten in den sommerlichen Himmel, ein eigener Sound, der sofort gefangen nahm. Mit High Times for Loners erschien Ende letzten Jahres das dritte Album, das einen abwechslungsreicheren, volleren Klang zeigt, als die ersten beiden, durch träumerische Langsamkeit gekennzeichneten LPs.
Live dudelt die Rhythmusgruppe der Gitarristen Philipp Eißler und Joscha Brettschneider vom Band. Und auch auf den ersten beiden LPs sind Drums und Bass eher im Hintergrund zu finden, erstere oft erzeugt mit einer Drummaschine. Für die Aufnahmen zum dritten Album hat man sich aber den Bassisten Max Braun und den Schlagzeuger Johann Polzer ins Studio geholt. Und das zahlt sich aus: Vollmundiger hat BRTHR noch nicht geklungen. Variantenreicher und vor allem flotter auch nicht.
“Speak Loud When You Speak Love” kommt mit einem satt groovenden Bass aus den Boxen, die Rhythmusgitarre erinnert an Reggae, die melodieführende Klampfe eher an Blues. Es ist einer von zwei politischen Songs auf High Times for Loners. Die Botschaft: Liebe lauter zu sprechen und die ganzen Hassredner übertönen. Textlich wird mit lauten Vergleichen gemalt, ein Bogen von heute zu 1933 gezogen und der “poplar tree” aus Nina Simones Anti-Rassismus/Anti-Lynchjustiz Klagelied zitiert und das dann mit den Migrationsbewegungen übers Mittelmeer vermengt. Also recht drastische historische Analogien. Das Thema Seenotrettung taucht auch in “Right Before Our Eyes” wieder auf, diesmal gradliniger reduziert als Anklage gegenüber einer wegschauenden EU.
Auch der Titeltrack zeigt sich mit stabilen Groove. Über rollenden Gitarren singt Eißler von sozialer Vereinsamung und wird dabei von Gastsängerin Ella Estrella unterstützt, die sich auch bei “Speak Loud” und “What Took You So Long” unter die Gesangsspuren mischt. Die Öffnung des Duos gegenüber anderen Musikern sorgt für ein abwechslungsreiches Klangbild, bei der berührenden Ballade “Lonely Night” bringt eine Orgel eine stimmungsvolle Grundierung, ohne sich in den Vordergrund zu drängen. Bei dem ähnlich zärtlichen Trennungssong “House of Love” setzt ein tröpfelndes Piano für Akzente.
Den größeren Klangvariationen und wechselnden Tempi zum Trotz ist High Times for Loners dennoch eine gut abgehangene und stimmige Geschichte – die Band bleibt Spezialist für verträumte Tage auf der Terrasse mit einem Tumbler Lynchburg Lemonade, nur dass dem Slow Country und Americana der Vorgänger noch etwas mehr Soul und Pop beigemischt wurde. Und es gibt sie noch, die ruhigen Americana Songs mit dudelnden Blues-Gitarren und Herzschmerz-Texten wie “No Other Thing”. Für eine einnehmende Intimität, die die Band seit dem Debüt Strange Nights begleitet, sorgt auch Eißlers Stimme, die so ziemlich wie das Gegenteil von Tom Waits klingt und in ihren schönsten Momenten dein Eindruck erweckt, als würde er neben dem Hörer stehen und seine Zeilen behutsam ihm und nur ihm ins Ohr singen. In diesem Sinne ist High Times for Loners eine überaus gelungene Weiterentwicklung und Öffnung all der Dinge, die schon auf den ersten beiden LPs bestens funktionierten.
*
High Times for Loners ist bei Backseat Records erschienen.
Dieser Blog ist frei von Werbung und Trackern. Wenn dir das und der Inhalt gefallen, kannst du mir hier gern einen Kaffee spendieren: Kaffee ausgeben.