Allgemein,  Kritik,  Literatur

“Gibt es fröhliche Clowns, und wie wäre das?”: Weiter atmen von Zsófia Bán

Weiter atmen von Zsófia Bán RezensionMan soll ein Buch ja nicht nach seinem Umschlag bewerten. Versuchen wir es trotzdem: Den Erzählband Weiter atmen von Zsófia Bán ziert Attila Szücs Gemälde Mann badet einen Löwen. Es wirkt etwas unscharf, putzig und dunkel zugleich. Verspielt, intim, absurd und unergründlich sind Adjektive, die mir durch den Kopf gegeneinander purzeln – und das ist dann auch eine ziemlich akkurate wenn auch wohl etwas uneindeutige Beschreibung meines Leseerlebnisses.

“Naja… und?” habe ich am Ende der Erzählung “Victoria’s Secret” mit Bleistift notiert. Viele der hier versammelten Texte, oft nur knappe fünf Seiten lang, lassen sich hinsichtlich ihres Plots nicht so richtig wiedergeben. Aber das muss man ja eigentlich auch nicht. Diese Erzählung habe ich auch so gern gelesen, der Genuss kommt vom Wie. Und da sind wir bei der großen Stärke dieses Bandes und seiner Autorin: Zsófia Bán kann ohne Zweifel schreiben. Auch wenn einige Texte auf Handlungsebene mal unergründlich oder auch banal wirken, bringt Bán ihre Figuren in wenigen Sätzen zum Leben und findet Vergleiche und Sätze, die man gerne unterstreicht. “Victoria’s Secret” erzählt letztlich von drei Damen, die im Krankenhaus auf die Behandlung eines Starchirurgen warten. Sie befragen einander, ob die Behandlungen medizinisch oder plastisch sind, die junge hübsche Roxana ist für “ein bisschen Tittchenvergrößerung” da – der Arbeit wegen (85). Sie geht in der Schweiz anschaffen. Da plaudern diese Frauen ganz ausgelassen und schwupps, streift man ein eher bedrückendes Thema osteuropäischer Realitäten. Da ist immer etwas Bedrohliches unter diesen Texten, in der Oberfläche schimmert eine von Fabulierlust erfasste Sprache, bei der Krankenhauskittel “knusprig gestärkt” sind (84).

Einen Großteil des Bandes machen solch episodenhafte Texte aus, die durch ihre Sprachlichkeit und Atmosphäre leben und gelegentlich ins Dunkle kippen. Ein weiteres Beispiel ist die Erzählung “Delfinshow”, in der die Protagonistin in einem Dampfbad zwei Männer belauscht, die sich über das Für und Wider von Schwimmen mit Delfinen unterhalten. Das Ganze endet in einem vermeintlichen Mord, der wohl eigentlich irgendwie gut gemeint war. Man ist nicht selten verdutzt, so auch bei “Mann badet Löwe”, einer von Attila Szücs Gemälde nur indirekt inspirierten Erzählung. Indirekt, weil er direkt auf einen Text von Péter Esterházy, der ebenso auf das Bild Bezug nimmt, rekurriert. Zsófia Báns Text basiert also auf zwei Zitaten und ist letztlich eine wild assoziierende Irrfahrt durch ein Europa, das “vorübergehend nicht zu erreichen ist” (38).

Sprache und Form triumphieren oft über Handlung, wenngleich der Band nicht ohne konventionelle Erzählungen ist. Da wäre zum Beispiel “Die aktive Gegend der Sonne”, die von einer Flüchtlingsfamilie erzählt und von einem Ungarn mit einer schlecht laufenden Herberge. Die ganz jungen Kinder sollen bei ihm anstelle des vollen Lagers unterkommen. Im Gastgeber laufen Konflikte hinsichtlich seiner Motivation konträr – er selbst wünscht sich Kinder, hat aber keine und möchte seine vermeintliche Großherzigkeit zur Profilierung nutzen -, zerschellen aber letztlich an Fremdenhass.

Weiter atmen ist ein Erzählband, mit dem ich mich ziemlich schwer getan habe, den ich aber auch nicht gänzlich beiseite legen konnte. Verspielt und abgründig zugleich enthält er Sätze, die ich nur ungern hätte verpassen wollen, zum Beispiel diesen: “Die Angst vergrößert die Dinge ebenso wie die Freude” (57). Das wird aber nicht jedem Leser genügen, dafür geben sich viele dieser Texte zu rätselhaft. Daher: eingeschränkte Empfehlung für Leser, die den Blick nach Ungarn wagen wollen und denen Stil mindestens genauso wichtig ist wie Inhalt.

*

Weiter atmen von Zsófia Bán ist bei Suhrkamp erschienen.

Dieser Blog ist frei von Werbung und Trackern. Wenn dir das und der Inhalt gefallen, kannst du mir hier gern einen Kaffee spendieren: Kaffee ausgeben.