Wenn der Familienurlaub zum letzten Strohhalm wird: Hugo und Judith begeben sich mit Tochter Ava in ein spanischsprachiges Urlaubsparadies, um die schal gewordene Ehe zu retten. Aber der abgestandene Gestank der verhärteten Ehe findet gleich am ersten Urlaubstag seine Entsprechung in einem gestrandeten Wal, der explodiert und das Urlaubsparadies in einen penetranten Gestank taucht. Multiperspektivisch, temporeich, humorvoll und mit satirischen Sprenkeln versehen, ist Der Duft des Wals des Kanadiers Paul Ruban ein vergnüglicher Sommerroman.
Menschliche Schlamassel: Starke Meinung zu brennenden Themen von Etgar Keret
Wer den neuen Kurzgeschichtenband Starke Meinung zu brennenden Themen von Etgar Keret beschreiben will, kann aus dem Vollen schöpfen: absurd, traurig, kurzweilig, rätselhaft, pointiert, verrückt, vernünftig – das sind einige der Adjektive, die passen. Stark am Puls der Zeit vereint Starke Meinung zu brennenden Themen über dreißig Erzählungen von erstaunlicher Originalität mit hoher Qualitätsdichte. An manchen Stellen könnte man meinen, der israelische Autor läutet das Post-Anthropozän ein.
Unsere Familien, unsere Häuser, unsere Dörfer: Kosakenberg von Sabine Rennefanz
Man kann den Menschen aus dem Dorf bekommen, aber das Dorf nicht aus dem Menschen. Man kann Kosakenberg von Sabine Rennefanz durchaus als Variation dieser Binsenweisheit lesen. Ihre Erzählerin Kathleen hat es aus dem kleinen brandenburgischen Dorf Kosakenberg – die Autorin selbst ist aus Beeskow – nach London gebracht. Sie wollte immer weg. Aber die Heimat lässt sie nie so ganz los. Ein Roman über eine Entfremdung und ostdeutsche Minderwertigkeitsgefühle.
Frauen in den Straßen: Mirmar von Josefine Soppa
In Mirmar von Josefine Soppa erzählt eine 32-Jährige von ihrem Leben in einer prekären Arbeitswelt und von ihrer Mutter, die plötzlich verschwindet. Es ist ein Text ohne Namen, ohne Männer und einer geheimnisvollen Bewegung – oder Bewegungen? – von Frauen. Mirmar ist ein nachdenklicher, auf Feminismus und Klassizismus fokussierter Roman – und ziemlich schwere Kost.
Erinnern und vergessen: Hinter der Hecke die Welt von Gianna Molinari
Ein Dorf hat Angst, vergessen zu werden und zu verschwinden: Versteckt hinter einer merkwürdig-imposanten Hecke, die sogar eine Handvoll Touristen anzieht, gibt es nur eine Straße und wenig Menschen. Die einzigen zwei Kinder des Dorfes, Pina und Lobo, wachsen seit einigen Jahren nicht mehr. Stillstand und ein schrumpfendes Dorf und schmelzende Gletscher in der Arktis: Gianna Molinaris zweiter Roman Hinter der Hecke die Welt ist ein Text über Stillstand und Wandel, über Verschwinden und Erinnern.
Das seltsame Mädchen: Lieblingstochter von Sarah Jollien-Fardell
Ein Leben in Angst: Jeanne wächst in einem Walliser Dorf unter dem Dach eines gewalttätigen Mannes auf. Sarah Jollien-Fardells Lieblingstochter ist ein eindringlicher Roman über Gewalt und die Macht, die sie ausübt, selbst, wenn sie versiegt ist. Es ist auch ein Text über eine innere Entwurzelung und das Wallis.
Menschliches Material: Zeremonie des Lebens von Sayaka Murata
Pullover aus Menschenhaar, Happy Future Food, Trauerfeiern, die in kannibalistischen Orgien münden: Sayaka Muratas Zeremonie des Lebens ist ein bemerkenswerter Erzählband, der vor allem durch inhaltliche Originalität zu überzeugen weiß. Die Japanerin erzählt mit verblüffender Selbstverständlichkeit von einer teils ungeheuerlichen nahen Zukunft (oder alternativen Realität?) und lässt den Leser die Sitten hinterfragen, in denen er lebt.