Es gibt kein schlechtes Wetter, nur Ideenlosigkeit: Wenn sich die Regenwolken mal wieder im Tal einnisten und den Tag am nächsten Badestrand vermiesen, muss man im Sommer in Dresden kein Trübsal blasen. Es gibt allerhand zu sehen: Die Ostrale eröffnete am Freitag zum 11. Mal. Im Albertinum sorgen die Sonderausstellungen „Geniale Dilletanten“ [sic!] und „Neue Bilder“ von Gerhard Richter für Schauwerte.
Der künstlerische Gabentisch ist, eigentlich wie jeden Sommer, reich gedeckt. Die Ostrale ist, nachdem die Zukunft ob der sanierungsbedürftigen Ausstellungsräume im Messegelände ungewiss war, nun doch für ein weiteres Jahr zurück. Allerdings hat sie sich selbst reformiert: Die drittgrößte jährliche temporäre Kunstausstellung Deutschlands ist jetzt eine Biennale für zeitgenössische Kunst und wird nur noch alle zwei Jahre stattfinden. Programmatisch läuft die Ostrale in diesem Jahr auch unter dem Titel „re_form“.
Der Geist, etwas verändern und auf den Kopf stellen zu wollen, beherrscht auch die neue Sonderausstellung „Geniale Dilletanten“ [sic!] im Albertinum. Waren hier zuletzt noch romantische Landschaftsbilder Italiens zu sehen, geht es jetzt deutlich lauter, fast schon krawallig zu. Die Ausstellung lädt weniger zum stillen betrachten ein, fordert stattdessen auf, hinzuhören und zu entdecken. „Geniale Dilletanten“ nähert sich der von der englischen Punk-Bewegung inspirierten Do-It-Yourself-Szene in Ost- und Westdeutschland der frühen 1980er Jahre. Im Vorraum zur Sonderschau scheppert es folglich aus den angebrachten Boxen. Wer die Ausstellungsräume betritt, sieht wenig Malerei, sondern Portraits einiger Schlüsselfiguren der Bewegung. Sie werden mit Fotografien, Musikvideos und Begleittexten vorgestellt. Zwei Dokumentationen beleuchten die Szenen in Ost- und Westdeutschland. Immer wieder dazwischengesprenkelt sind Gemälde von Künstlern, die mit der vornehmlich durch Musik getragenen Bewegung assoziiert waren.
Improvisieren, selber machen, Bestehendes ablehnen und Neues wagen: Getrieben von diesem DIY-Ethos und der Abkehr und Abgrenzung von etablierten Strukturen verfolgten Künstler wie Einstürzende Neubauten, die mit Theatermachern kollaborierten und verschiedene Geräusche in ihre Musik integrierten, oder Christine Schlegel, die Performance, Film und Malerei verband, einen interdisziplinären Ansatz. „Geniale Dilletanten“ ist eine im besten Sinne audio-visuelle Ausstellung, in der sich unterschiedliche Kunstformen, von Musikvideo zu experimentellem Kurzfilm, von Musik zum Plattencover zu großformatigen Malereien, zu einer spannenden Entdeckungsreise in die rebellische Seite der 80er Jahre fernab der Neuen Deutschen Welle formiert.
Neben dieser Sonderausstellung bietet die Galerie Neue Meister noch zwei weitere lohnenswerte temporäre Ausstellungen. Anlässlich seines 85. Geburtstags zeigt das Gerhard Richter Archiv „Neue Bilder“ des gebürtigen Dresdners und teuersten Künstlers der Gegenwart. Die großformatigen abstrakten Bilder (Öl auf Leinwand, ein kleineres Bild ist Öl auf Aluminium) werden in den beiden Gerhard Richter Räumen des Albertinums ausgestellt und erzielen dank leuchtend-vibrierender Farben eine fast schon hypnotische Wirkung. Wie in der Sonderausstellung regieren hier auch Improvisation und freie Assoziation. Dicke Farbschichten wurden übereinander aufgetragen und zum Teil wieder freigeschabt. Beliebig wirken die Werke dennoch nicht, die gemeinsame Methode gibt ihnen eine Linie und erinnert an frühere abstrakte Arbeiten des Künstlers.
Während bei Richter die Abstraktion regiert, wird der Dresdner Künstler Karl-Heinz Adler „Ganz Konkret“. In dieser bis zum 15. Oktober verlängerten Ausstellung dominieren klare Linien, Quadrate und Flächen unterschiedlicher Struktur. Der Raum ist in gewisser Weise das Gegenteil von dem, was in Richters aktueller Ausstellung zu sehen ist und doch wirken die ausgestellten Werke ähnlich einnehmend und hypnotisierend.
Ostrale’17: Querschnitt durch das zeitgenössische Kunstgeschehen
Am 28.07.2017 eröffnete die Ostrale zum elften Mal die Futterställe im Messegelände und selbst die Sonne war in einer ansonsten verregneten Sommerwoche gespannt genug, um die Wolken für einen sommerlichen Abend hinwegzuschieben. Das merkte man auch am Publikum, das recht zahlreich erschien und das große Areal mit Leben füllte. Die Kulisse, das sich dank milder Temperaturen angeregt im Außenbereich unterhaltende Publikum und natürlich die Kunst an sich sorgten für einen wirklich gelungenen Auftakt der nun nur alle zwei Jahre stattfindenden Kunstmesse. Zum Glück gibt es sie überhaupt noch: letztes Jahr hätte die zehnte auch schon die letzte Ausgabe sein können. Die alten Futterställe, in denen die Messe alljährlich stattfindet, sind sanierungbedürftig. Zum Glück für die Veranstalter bewirbt sich Dresden um den Titel der Kulturhauptstadt Europas. Eine Kunstmesse dieser Größe macht sich bei der Bewerbung um diesen Titel natürlich gut und so sicherte man jetzt doch Unterstützung zum Erhalt der Ostrale zu.
Eindrücke von der Ostrale wiederzugeben, ist ein schwieriges Unterfangen: Gemälde, Fotografien, Skulpturen, aufwendige Installationen und Performances einer Vielzahl deutscher und internationaler Künstler werden ausgestellt. Man sollte schon drei Stunden einplanen, um alles zu sehen. Eine intensive Auseinandersetzung mit einzelnen Exponaten braucht dann aber wahrscheinlich einen zweiten Besuch – die Aufnahmefähigkeit des Besuchers kommt ob der gebotenen Vielfalt irgendwann an ihre Grenzen. Einige Highlights werden aber in Erinnerung bleiben. Darunter „Privatsammlung“ von Jonas Lewek, der zehn aus Museen entwendete Fragmente von Werken namhafter Künstler in Vitrinen ausstellt. Die Installation „Robokonzum“ von Mark Swysen lässt einen Einkaufswagen inmitten leerer Einkaufsregale im Kreis fahren als Sinnbild für einen ohnmächtigen, zum Konsumenten degradierten Menschen. „Sammlung Schirm“ von Lucas Buschfeld ist eine Installation aus dünnen Papierstreifen, die elektrisch aufgeladen mit ihrer Umgebung – dem Betrachter – bei Berührung interagieren. Zauberhafte Kunst, die mehr am Moment selbst denn an Bedeutung interessiert ist.
Andere Werke, besonders jene, die in den Hallen 5 und 6 versammelt sind, pochen dafür etwas zu sehr auf Bedeutung und sind in ihrer Konzentration beinah unangenehm didaktisch und ideologisierend. Kunst darf natürlich politisch sein, aber bitte nicht so platt wie Jürgen Schieferdeckers „Mosambikaner auf Dresdner Art“, der ein zersägtes Foto von Jorge Gomondai nebst Säge und blutbeflecktem Kissen ausstellt. Halle 6 wird gänzlich NSK-Staat, einem politischen Kunstkollektiv aus Slowenien, überlassen, dessen Ästhetik stark auf sowjetische Ikonographie rekurriert und auf Kapitalismuskritik setzt. Hier wäre ein inhaltlicher Bruch wünschenswert.
Aber bei der vielen Kunst, die die Ostrale aufbietet, ist es zu erwarten, dass nicht alles gefällt. Vieles verzückt, lässt staunen, manches lässt kalt oder irritiert ein wenig. Das bedeutet letztlich aber nur eins: Die Ostrale ist so lebendig wie eh und je.
„Geniale Dilletanten“ ist vom 15. Juli bis 19. November 2017 im Albertinum zu sehen.
Die Ostrale ist bis zum 1. Oktober geöffnet.