Von Prince of Denmark zu Golden Baby: Nachdem der Künstler, der als Traumprinz und Prince of Denmark zu einer Underground-Sensation geworden war, seine bekanntesten Pseudonyme zu Grabe trug, feierte er ohne sein altes Label und unter den Namen DJ Healer und Prime Minister of Doom Ostern 2018 eine grandiose Wiederauferstehung: Ausverkauft binnen weniger Tage und von Resident Advisor zur Musik des Jahres gekürt, scheint der Hype ungebrochen. Auch die zwei EPs Forgotten World 1 & 2 unter dem neuen Pseudonym Golden Baby waren binnen weniger Tage vergriffen.
Die Veröffentlichungspolitik und die Anonymität des Künstlers haben zu einer gewissen Fetischisierung seiner Musik beigetragen. Anders als heute üblich, sind die Veröffentlichung nur als Schallplatten zu erwerben. Wer zu spät kommt, den bestraft der Gebrauchtmarkt. Wer die Platten haben möchte, muss sie kaufen, ohne sie vorher gehört zu haben. Ähnlich wie ein Maler, der Bilder verkauft, die er noch gar nicht gemalt hat, verkauft Traumprinz Songs, die noch keiner gehört hat. Die Zurückführung der Musik hin zu materiellen Objekten in Form von Schallplatten ist damit nicht nur ein angenehmer Gegentrend zur Flüchtigkeit und ständigen Verfügbarkeit der Streamingdienste, sie macht die Platten auch zu Spekulationsobjekten mit Wertsteigerungen, die das Vielfache des Kaufpreises erzielen (die für je 8 Euro direkt vom Künstler verkauften Golden Baby EPs sind schon jetzt ab 55 Euro bei Discogs zu erwerben).
Auch wenn der Erschaffer, dessen bürgerlicher Name bis heute unbekannt ist, durch die wechselnden Pseudonyme und der einhergehenden Anonymität sowie der Verknappung den Fokus auf die Musik lenken will und ihr eine gewisse Wertigkeit verleiht, steht diese Entwicklung diesem Ziel paradoxerweise auch entgegen – die Platten werden eben auch durch fehlende Hörproben blind bzw. taub gekauft – man erwirbt so gesehen erst einmal das Objekt – ob die darauf befindliche Musik gefällt, zeigt sich erst im Nachhinein.
Die blinde Gefolgschaft, die diese Veröffentlichungspolitik inzwischen erfordert, verstellt zuweilen den Blick auf die eigentliche Kunst. Es wirkt manchmal, als würde das Gesamtphänomen in den Fachmedien verhandelt – die Musik ist nur Teil des Pakets. Der Künstler kann nur wenig dagegen tun, besonders weil er sich einer klassischen Promotion seiner Musik etwa durch Interviews verwehrt. Das führt gelegentlich zu einer Überbewertung seiner Kunst. Bei keiner Veröffentlichung wurde das bisher so deutlich, wie bei den Reaktionen auf Nothing to Loose, das er im vergangenen April unter dem Pseudonym DJ Healer veröffentlichte. Die LP wurde als Triumph emotionaler elektronischer Musik gefeiert, eine Auseinandersetzung mit den darauf Veröffentlichten Songs verlor sich jedoch etwas im Drumherum. Die Konzentration verlagerte sich auf die Botschaft der Musik – schließlich trug der Künstler selbst auf dem letzten Track der LP ein Gedicht vor. Wem gefällt nicht die Botschaft von Selbstfindung im kreativen Prozess und der Verbundenheit aller Dinge? Doch während die Aussage des Albums löblich ist, verstärkt sich, zumindest in meinen Augen, der Eindruck, dass die Aussage von Kunst höher bewertet wird, als deren Originalität (ein unschöner Trend, der sich auch bei der Bewertung von Filmen bei der Oscarverleihung 2019 zeigt). Anders ausgedrückt: Das Bild einer Friedenstaube ist aufgrund des Motivs noch kein großes Kunstwerk – die stilistisch originelle Verarbeitung des Motivs sollte maßgebend sein. Unter diesem Gesichtspunkt war Nothing to Loose weitaus weniger beeindruckend, als es die einhellig positiven Rezensionen weismachen wollten. Der Künstler selbst priorisierte Ideologie über Ästhetik, indem er auf dem Album lieber ausbuchstabierte, was er mithilfe musikalischer Gestaltung auch hätte zeigen können.
Golden Baby: Was ist schon ein Name?
Ein weiterer Punkt, der sich daran anschließt und schließlich auch nach dieser langen Vorrede zur eigentlichen Musik als Golden Baby führen soll, ist der Aspekt der Autorenschaft in Wechselwirkung mit der Verwendung stetig wechselnder Pseudonyme und der freimütigen Verwendung von Samples. Die Musik von Traumprinz wird ohne begleitende Texte veröffentlicht. Der bürgerliche Name des Erschaffers bleibt ebenso unerwähnt wie der Ursprung der verwendeten Samples. Klar, Samples gehören gewissermaßen zum Instrumentarium elektronischer Musik (oder Hip Hop und anderen Formen populärer Musik). Doch warum sollen die Erschaffer dieser Versatzstücke der neu produzierten Musik der selbst verordneten Anonymität von Traumprinz untergeordnet werden – die Autorenschaft anderer Musiker wird hier gleich mit negiert. Man kann das durchaus fragwürdig finden, zumal der Künstler an seiner auf anderen Kreationen aufbauender Musik verdient. In den Kommentarspalten von Soundcloud und Discogs tauchten dazu bereits unschöne Anschuldigungen auf, die im Falle der letzten Veröffentlichung als Traumprinz auf seinem ehemaligen Label in Plagiatsvorwürfen mündeten (könnte hierin gar der Bruch mit dem Weimarer Label begründet sein?).
Diese Praxis – vielleicht ist die Verwendung der Samples in dieser Form auch abgeklärt – soll an dieser Stelle nicht weiter verfolgt werden, auch wenn die Verwendung von Samples in der Musik auf Forgotten World 1 & 2 noch zur Sprache kommen wird. Vorab aber noch ein weiterer Gedanke zum Thema Autorenschaft und der Schaffung verschiedener Pseudonyme: Mit Golden Baby scheint dieses Vorgehen zu einem Gimmick verkommen zu sein, das eigentlich auf nichts verweist, eine leere Pose ist. Wenn die unterschiedlichen Namen der Differenzierung unterschiedlicher Konzepte oder Sound Designs dienen soll, ist mit Golden Baby ein Zustand der Beliebigkeit erreicht worden. Gut die Hälfte der Songs beider EPs war schließlich schon lange vor diesen Veröffentlichungen zu hören, drei davon bereits 2012 als Teil eines unter dem Prince of Denmark-Pseudonym via Giegling veröffentlichten Mixes. Diese drei Tracks (“Can I Ride”, “anotherchicagohooker” und “Aciid”) sind älter als das neue Pseudonym, sie passen auch zum Klangbild des abgelegten Pseudonyms (Dub Techno). Auch dienen die Pseudonyme in ihrer Form kaum, um die Autorenschaft des Künstlers zu verschleiern, da sie eindeutig auf ihren Erschaffer – ganz gleich ob dessen bürgerlicher Name bekannt ist – zurückzuführen sind. Es ist immer the artist formerly known as Traumprinz.
Jetzt aber zur Musik
Das ist viel Vorrede für die Besprechung von acht neuen Tracks, doch sie steht in direktem Bezug zur Musik. Denn der Eindruck der Redundanz, den die abermalige Erschaffung eines neuen Pseudonyms in mir weckt, ist in dem Hörerlebnis von “anotherchicagohooker” auf Forgotten World 1 aufgekommen. Hier verwendet Golden Baby erneut ein Sample, das er bereits auf seiner ersten Veröffentlichung unter dem Namen Prince of Denmark, “Are You Ready Ralph”, verwendete. Es handelt sich um einen mehr als fünf Minuten langen Monolog aus Dr. Timothy Leary – Turn On, Tune In, Drop Out (The Original Motion Picture Soundtrack). In Anbetracht der Länge des Samples steht es in den jeweiligen Tracks im Vordergrund. “Are You Ready Ralph” ist für mich ein Highlight aus der umfangreichen Diskographie des Künstlers – das esoterische Sample wurde sparsam mit einer groovenden Bassline in Szene gesetzt. “anotherchicagohooker” ist wie der erste Track Dub Techno, der das Sample erneut weitestgehend unverändert lässt. Auch wenn im Rahmen des Genres die musikalische Untermalung des Samples eine andere sind, schafft “anotherchicagohooker” es nicht, das Ausgangsmaterial auf ansprechende Weise neu zu kontextualisieren – es sind zwei Versionen derselben Idee, die in meinen Ohren willkommene Rückkehr zum Prince of Denmark-Sound verpufft zu einem Schulterzucken. Es ist nicht das einzige Mal, dass der Künstler ein Sample wiederholt verwendet. Dass es besser geht, zeigte er jüngst auf dem Material, das er um Weihnachten über seinen Soundcloud Account veröffentlichte. In dem Track “Depression House” verwendet er dasselbe Sample wie auf seinem Traumprinz-Song “Hey Baby”. Während der letztgenannte Song eine angenehm groovende House-Nummer ist, die Linda Cliffords Vocals aus „Ride The Storm“ in voller Länger über den Track laufen lässt, ist dieses Sample in “Depression House” nur als kleiner Ausschnitt im Rahmen einer Drum’n’Bass-Produktion zu hören. Der Effekt ist ein ganz anderer, die neuerliche Verwendung des Samples wirkt frisch und originell. Die Gelegenheit, mit “anotherchicagohooker” ähnliches zu erreichen, ist leider vergeben, der Track wirkt schal.
Vielleicht spielt der Titel Forgotten World auch darauf an – ein Rückgriff auf eine Klangwelt, der der Künstler eigentlich schon hinter sich gelassen hatte. Tatsächlich bietet Golden Baby viel Dub Techno, der von Ambient- und Downtempo-Momenten flankiert wird. “Can I Ride (Extended Cut)” steht exemplarisch dafür: In Hall getränkte Keys umschmeicheln hier eine geradlinige Bassdrum, um die High Hats drapiert werden. Melodieführend werden ein paar Synthesizer-Akkorde durchgestochen. Mit diesen wenigen Elementen spielt der Künstler über die Spielzeit von mehr als acht Minuten, ein hypnotisch-groovendes Klangerlebnis entfaltet sich. Das ebenfalls seit 2012 bekannte “Aciid” ist ein von trauriger Atmosphäre beseelter Ambient-Track mit dramatischen Streichern sowie einer dezent und ruhig im Hintergrund wabernden Bassdrum, über die Töne gelegt werden, die etwas quakende an Frösche erinnern – das Bild einer einsamen Nacht entsteht.
Neben “Can I Ride” ist die B-Seite von Forgotten World 2 das Highlight beider EPs. “rainbowcoalition” ist eine Downtempo-Nummer mit schummrigen Sounds, die von einem lieblichen Vibraphon umspielt werden. Wieder lässt es sich der Künstler nicht nehmen, mithilfe eine Samples eine positive Botschaft in die Welt zu streuen, dieses Mal in Form von Jesse Jacksons Rainbow Coalition-Rede, die der schwarze Bürgerrechtler während seiner Präsidentschaftskandidatur hielt: “When people come together, flowers always flourish and the air is rich with the aroma of a new spring”. Form und Inhalt existieren hier in perfekter Balance, ein Track, der zu schwelgen an eine bessere Welt einlädt.
“What a Strange Life” erinnert wieder an den Dub Techno des Prince of Denmark-Pseudonyms mit seiner aquatisch blubbernden Bassline, gibt dem Ganzen aber einen helleren, verspielteren Drall mit seinen hell-flirrenden Soundeffekten, die durch flächige Synthezizer geerdet werden. “What a Strange Life” ist Dub Techno für Leute, die sich mit großen Augen die Welt erträumen und für mich der stärkste Track der Sammlung.
Das Projekt des Künstlers bleibt ohne Frage interessant. Doch die Haken, die er mit den ständig wechselnden Pseudonymen schlägt, werden langsam vorhersehbar. Das ändert freilich nichts daran, dass Forgotten World 1 & 2 ein eher durchwachsenes Hörerlebnis ist, auf dem sich gute Musik findet, auch wenn sie hinter den hohen Standards, die der Produzenten vor allem mit seinen frühen Prince of Denmark und Traumprinz Produktionen setzte, zurückbleibt.
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Forgotten World 1 und Forgotten World 2 von Golden Baby waren über die Website des Künstlers zu kaufen.