Das Lesejahr 2025 hatte einige gute Bücher und nur wenig Schlechtes zu bieten. Aber als ich diese alljährliche Übung ausführte, fiel mir auch auf: Ganz oben, an der Spitze des Lesevergnügens, drängen sich nur wenige Bücher wirklich auf. Da gab es schon stärkere Jahrgänge. Bedauerlich auch, dass es kein Buch eines deutschsprachigen Autors in meine Top 3 geschafft hat, wenngleich Mascha Unterlehbergs Wenn wir lächeln den Sprung nur knapp verpasst hat. Ihr originell erzähltes Debüt ist dennoch der vielleicht stärkste Coming-of-Age-Roman des Jahres.
Ebenso erwähnenswert wären Tiny House von Mario Wurmitzer, eine wahrlich unterhaltsame Satire, sowie der Erzählband Gratis Umarmungen von Philipp Röding, der neben einigen meisterhaften Erzählungen aber auch etwas Durchschnitt aufbot. Selbiges kann man über den insgesamt überzeugenden Band Notfallkontakte von Esther Becker sagen. Apropos Erzählbände: Gleich zwei haben es in meine Top 3 geschafft – und wenig überraschend dürfte auch sein, dass diese von Amerikanern geschrieben wurden. In der Form sind die USA weiterhin das Maß aller Dinge (über alles Weitere schweigen wir).
The Body Farm von Abby Geni
Es ist schwer zu sagen, was diesen Band so besonders macht. Denn die Amerikanerin Geni greift hier nicht wirklich tief in die Werkzeugkiste und versucht, Lesende mit allerhand Kunstgriffen der Erzähltechnik zu verblüffen. Verblüffend ist einfach der Sog, den diese elf Geschichten ausüben. The Body Farm hatte mich schon beim ersten Text. „The Rapture of the Deep“ allein würde ihren Platz auf dieser Liste schon rechtfertigen. Hier zieht es die Erzählerin in den Rausch der Tiefe, dort, wo auch eines ihrer größten Traumata lauert. Traumata gibt es aber auch an der Wasseroberfläche – ihr entfremdeter Bruder versucht sie zu erreichen, um über den Tod der Mutter zu sprechen.
The Body Farm nimmt Lesende mit in berührende zwischenmenschliche Geschichten an Orten, die überraschen. Vom Grund des Meeres zu einer forensischen Forschungsstätte, an der menschliche Körper beim Verwesen beobachtet und untersucht werden. Oder zu einem Roadtrip zwischen einem Vater, der seine pubertierende Trans-Tochter vor den gewalttätigen Fängen der Exfrau rettet. All diese abwechslungsreichen und originellen Erzählungen schildert Geni mit einer Wahrhaftigkeit, derer man sich einfach nicht entziehen kann. Auch jetzt, Monate nach der Lektüre, sind mir diese Texte noch präsent – ein echtes Wunder der Erzählkunst.
Das Geschenk von Gaea Schoeters
Die Trophäe war schon ein Triumph, und auch der zweite Roman von Schoeters zeugt von einer feinfühligen Beobachtungsgabe und großer Vorstellungskraft, gepaart mit der Gabe, die Dinge, die sie schildert, moralisch unkommentiert stehen und genau deswegen leuchten zu lassen. Das ist dann auch oft der Punkt, an dem deutschsprachige Autoren eher zu scheitern scheinen: zu viel Message, zu wenig Style.
Nachdem Schoeters’ postkoloniales Debüt eine dunkle, hemingwayeske Erzählung über die Großwildjagd in Afrika war, bringt Das Geschenk afrikanische Elefanten nach Berlin, hinein in eine Politsatire, die den Berliner Zirkus und alles darum herum wunderbar trifft. Wie auch in Die Trophäe spielen Postkolonialismus und Umwelt eine Rolle, doch hier übernehmen politische Spielereien, Deals und unbefriedigende Kompromisse die Hauptbühne. Das alles erzählt die Journalistin ohne zu werten, aber mit einer schmunzelnden Verve. Das Geschenk ist nicht ganz auf dem Level des Debüts, aber nah genug dran, um zum Besten des Jahres zu zählen.
Rejection von Tony Tulathimutte
Der Autor mit dem unaussprechlichen Namen hat mit Rejection einen thematisch sehr gegenwärtigen und formal trickreichen Erzählband veröffentlicht, der gekonnt thematisch und metafiktional die Einzelteile miteinander verwebt. Völlig unerschrocken schubst uns der Autor in selbsternannte Feministen, die letztlich aber doch eher Incels sind, in aus dem Ruder laufende Gruppenchats („Pics“) oder in die Gedankengänge eines narzisstischen Fuckboys („Our Dope Future“). Diese Erzählungen sind originell, abstoßend und zum Schreien komisch. Tulathimutte traut sich was – und gewinnt.
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