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Der verknorspelte Mann: Heimweh im Paradies von Martin Mittelmeier

Heimweh im Paradies: Thomas Mann in KalifornienHeimweh im Paradies: Thomas Mann in Kalifornien von Martin Mittelmeier beleuchtet auf süffisante Weise die Exiljahre des Literaturnobelpreisträgers. Aber ist Kalifornien wirklich das Paradies? Und hat Mann wirklich Heimweh nach seiner Heimat, die Krieg gegen die Welt führt? Und kann dieses Buch ein neues Licht auf die Lichtgestalt deutschsprachiger Literatur des 20. Jahrhunderts werfen? Nun, es ist eine Frage des Stils: Die unbefangene, alle Ehrfurcht ablegende Weise, mit der sich Martin Mittelmeier seinem Sujet nähert, macht zumindest großen Spaß.

Blendet man die weltpolitische Lage aus, dann klingt es für jeden denkenden Menschen wahrscheinlich schon paradiesisch: palmengesäumte Straßen, der Pazifik nicht weit und in der Nachbarschaft wohnen illustre Namen wie Brecht, Horkheimer, Adorno. Man trifft sich zum Tee, zu Feierlichkeiten, diskutiert über Literatur, Musik und Deutschland. Hätte man mehr machen können, um die Katastrophe zu verhindern? Wie soll Deutschland gestaltet werden, wenn der Krieg endlich vorbei ist?
Es ist ein Hadern und ein Fremdeln – mit anderen Exilanten, mit Deutschland, der neuen Heimat – und mit sich selbst: „Hat Thomas Mann sich bereits überlebt? Ist er nur noch Exponent eines flauen Traditionalismus?“ (32). Der Lichtgestalt geht es eigentlich gut: Ohne materielle Sorgen, Bleiberecht, einflussreichen Freunden und Bewunderern lebt es sich im Grunde genommen recht unbeschwert. Natürlich gibt es Unzulänglichkeiten – der eigenen Kinder, anderer Exilanten, Versuchen der Vereinnahmung.

Doch eigentlich beobachten Leser dieses Buchs Thomas Mann dabei, Thomas Mann zu sein. Immer irgendwie über den Dingen schwebend – ein Unberührbarer, der die Welt in sein Werk assimiliert und dabei gern auf die Ideen seiner Mitexilanten zurückgreift – und nur widerwillig Anerkennung gibt.

Wie nah kann man einem Mann kommen, der seine Gegenstände gern in ewig langen Sätzen umkreiste, um sie möglichst präzise zu fassen und gleichzeitig Distanz zwischen sich und ihnen zu schaffen? Heimweh im Paradies ringt Mann und seinen inneren Sehnsüchten und Befindlichkeiten nicht viel Neues ab, präsentiert dafür ein süffisant erzähltes Sittenportrait der deutschen Exilgemeinde in Los Angeles. Nicklichkeiten, Egos, verschiedene Positionen treffen aufeinander, werden verhandelt. Sichtbar wird dabei ein zunehmend im eigenen Selbstbild erstarrter Schriftsteller, den die Zeit zu überholen droht.

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Heimweh im Paradies: Thomas Mann in Kalifornien von Martin Mittelmeier ist bei DuMont erschienen.

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