I Know You Know Who I Am: Also ich weiß du weißt wer ich bin ist der Titel von Peter Kisperts – so viel sei vorweg genommen – hervorragendem literarischen Debüt. Dem Erzählband gelingt das Kunststück, in verblüffend unterhaltsamen, zu gleichen Teilen witzigen wie tragischen Geschichten, nach der conditio humana zu fragen. Er entdeckt seine Erzähler in den Lügen, die sie über sich selbst erzählen.
Peter Kispert scheint uns für pathologische Lügner zu halten, besonders in Liebesfragen. Aber fangen wir vor dem eigentlich Text an: Diesem stellt er ein Zitat von Lauren Slater über Misstrauen voran. Dieses sei so tief in die Wirkweisen der Welt eingewoben, dass jeder Schritt trückisch erscheint, man unter sicherem Boden eine Mine vermutet. Wir reden hier also von diesem unbehaglichen “zu schön um wahr zu sein”-Gefühl. Die Mehrzahl der Stories in I Know You Know Who I Am erzählt wiederum von Männern, die das Lügen einfach nicht lassen können. Knispert stellt seinem Leser mit Slaters Zitat hier gewissermaßen die Huhn-oder-Ei-Frage: Was war zuerst da, das Misstrauen oder die Lüge? Sind die Lügen der Männer vielleicht das Resultat eines fundamentalen Misstrauens in die Welt?
Eine andere Frage ist jene nach den Geschichten, die wir über uns Selbst erzählen. Können wir die Lügen werden, die wir anderen auftischen und gibt es so etwas wie die wahre Geschichte unseres selbst überhaupt? Sind diese nicht immer, wie literarische Texte auch, editiert – hier wurde etwas vergessen, dort etwas ausgeschmückt und neu arrangiert? Knisperts einfallsreiche Geschichte drehen diese Fragen laut, indem er seine Erzähler den Bogen regelmäßig überspannen lässt. Die erste Erzählung ist emblematisch: In “I Know You Know Who I Am” bezahlt der Erzähler einen fremden Mann, damit dieser vorgibt, ein alter, enger Freund Finn zu sein. Den gab es aber nie – der Erzähler hat ihn erfunden, um sein Leben gegenüber seines Partners etwas auszuschmücken.
In “Aim for the Heart” gibt der Protagonist vor, Jäger zu sein, um seinen Partner zu beeindrucken. Eher zufällig gelingt ihm der Blattschuss und er muss den ungewollten Kadaver durch den Wald schleifen und wird von unangenehmen Erinnerungen an seinen besten Freund aus der High School heimgesucht – einer der vielen Menschen, die er verloren hat, während er seine imaginierten Selbstbilder von sich streifte wie Zwiebelhäute.
Je mehr Texte man von lügenden Menschen liest, desto mehr drängt sich auch die Frage auf, in welchem Verhältnis das Spektakel, das die Menschen aus sich machen, an Kontrolle geknüpft ist und ob sie sich dadurch nicht selbst in ein Gefängnis stecken. Die Kartografierung der eigenen Lügen verursacht den Erzählern große Anstrengungen. Man kann nicht alles kontrollieren, auch nicht die Lügen, die man über sich selbst erzählt.
Während diese Stories im Hier und Jetzt angesiedelt sind und ein stimmiges wie realistischen Gespür von Ort und Zeit zeigen, wagt Knipert in zwei Erzählungen den Schritt ins Surreale und weg von Paarbeziehungen. “How to Live Your Best Life” ist eine Satire auf eine auf Spektakel ausgerichtete Gesellschaft, die gern die Armen für Entertainment verheizt. Im Zentrum steht eine ärmliche Familie, die sich bei einer Game Show anmeldet, die für die Kandidaten tödlich enden kann und – natürlich – viel Vertrauen ineinander erfordert. “Rorschach” erzählt von einem Mann, der den Tod der Mutter als Anlass nimmt, um sich bei einer verflossenen Liebe in Psychotherapie zu begeben, während er am Theater “Crucifixions” inszeniert: Hier werden zum Tode verurteilte Häftlinge vor Publikum ans Kreuz genagelt, bis sie sterben.
Täuschungen sind also fast allen Texten gemein. Zwischen die längeren, um die 20 Seiten langen Texte sprenkelt Kispert kurze, die eher stimmungsvoll Momente einfangen und letztlich mehr von ihren Leerstellen als den kurzen Handlungsfragmenten leben. Sie lockern die Sammlung angenehm auf, wenngleich sie selten bemerkenswert sind. Auch wenn nicht jede der insgesamt 21 Erzählungen essentiell ist, ist I Know You Know Who I Am ein beeindruckendes Debüt, das im Lügen viel Wahrheit über seine Menschen findet.
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I Know You Know Who I Am ist bei Penguin erschienen.
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