Allgemein,  Kritik,  Literatur

Was am Ende bleibt: Die Angehörigen von Katharine Dion

Die Angehörigen von Katharine DionDebütromane sind oft vom Sturm und Drang der Jugend geprägte Coming of Age Geschichten. In dieser Hinsicht ist der Amerikanerin Katharine Dion ein wirklich ungewöhnlicher Erstling gelungen: Ihr mit ruhiger Hand erzählter Roman Die Angehörigen erzählt von Eugene Ashe, der nach 49 Jahren Ehe plötzlich Witwer ist und nun die Beziehungen seines Lebens hinterfragt.

Ein Werk wie Die Angehörigen kann sich schnell in Melodramatik verlieren. Doch Katharine Dion beginnt den Roman nach dem großen Schmerz. In gesetztem, nüchternen Ton erfährt der Leser in der ersten Zeile, dass “seine Frau im Juni gestorben [war]” (7). Der Schock des Verlustes ist ausgewaschen, ein Nadelstich, der immer da, aber nicht mehr so allumfassend ist, dass er keinen Raum für andere Gedanken mehr lässt. Wie gestaltet man ein Leben, dessen Mittelpunkt verloren ging und in dem die typischen Höhepunkte einer jeden Biographie bereits in der Vergangenheit liegen? Was bleibt? Was hinterlässt man?

Dann gab es noch die Fragen, die er Maida nie gestellt hatte. Zum Beispiel, ob sie der Meinung war, unter dem Strich ein glückliches Leben gehabt zu haben (12).

Für Eugene beginnt eine Zeit, in der er sich selbst im Beziehungsgeflecht seiner Angehörigen zu verorten versucht. Die Erzählung beginnt im Spätsommer während der Vorbereitung für die Trauerfeier (Maida, die Verstorbene, wurde eingeäschert) und begleitet Eugene bis in den folgenden Winter. Einen großen Teil nehmen dabei Erinnerungen ein, die ein genügsames, aber erfülltes Leben zeigen: Eugene lernte Maida durch seinen Studienfreund Ed kennen. Beide Freunde gründeten zur gleichen Zeit eine Familie und beide Familien blieben zeitlebens eng miteinander verbunden. Der jährliche gemeinsame Urlaub in einer Seehütte bildet einen Ankerpunkt dieser Momente des Glücks.

Doch bei der Trauerfeier wächst Skepsis in dem alten Mann. Die Trauerrede seiner Tochter erwähnt ihn gar nicht erst und eine ehemalige Kommilitonin beschreibt Maida als Frau, der Enttäuschungen nicht fremd waren. Unsicherheiten brechen hervor: Eugene war immer ein auf Stabilität bedachter Mann, sein Freund Ed ein ambitionierter, extrovertierter Typ, der die häusliche und etwas einfältige Gayle zur Frau nahm. Hätten die beiden Männer mit der jeweils anderen Frau vielleicht eine bessere Wahl getroffen?

Auch die Beziehung zur Tochter Dary beschäftigt Eugene: Dary zog es von der Ostküste an die Westküste. Sie und ihr Vater haben früh den Draht zueinander verloren. Der Grund der Entfremdung bleibt rätselhaft. Liegt sie allein darin begründet, dass Dary eine andere, liberalere Vorstellung vom Leben hat, als ihr Vater? Sie glaubt nicht an die große Liebe oder die Ehe, hat sich deswegen – so scheint es zumindest – künstlich befruchten lassen. Bei der Kindererziehung legt sie keinen Wert auf einen Mann und begegnet Eugene oft als wäre er genau das: ein alter weißer Mann (schlimmeres kann man heutzutage ja nicht sein).

Die Angehörigen erzählt davon, dass zwischenmenschliche Beziehung dynamisch sind und sich das wahre Wesen eines Menschen von einem einzelnen nicht ergründen lässt – schon gar nicht, wenn dieser nicht mehr befragt werden kann. Man wird nie alle Geheimnisse entschlüsseln können – das macht die Spannung des Lebens schließlich aus. Der Roman zeigt aber auch, dass manche Verbindungen, so gestört sie manchmal sein können, nicht gänzlich zu kappen sind. Und so ist Die Angehörigen deprimierend und beruhigend zugleich. Es ist kein aufregender oder außergewöhnlicher Text. Lesenswert ist er schon.

*

Die Angehörigen (Orig.: The Dependents) wurde von Hennig Ahrens übersetzt und ist bei Dumont erschienen.