Mit A Lucky Man legt der Amerikaner Jamel Brinkley ein elegant erzähltes Debüt vor: Seine neun Stories entführen den Leser in die Leben meist junger Männer, die in Brooklyn und der Brox nach Momenten des Glücks und familiärer Geborgenheit suchen. Der New Yorker erweist sich auf seinem Debüt als ein bemerkenswert souveräner Erzähler, mit dem man in Zukunft sicher weiterhin rechnen darf.
A Lucky Man erzählt von Reifeprozessen, zerbrochenen und zerbrechenden Familien sowie dem Fehlen von Vaterfiguren. Bei den Streifzügen durch Brooklyn und der Bronx werden auch Gentrifizierungsprozesse sichtbar, ebenso wie die Rolle, die die Hautfarbe eines Menschen in einer zwischen schwarz und weiß gespaltenen Gesellschaft spielt.
In “J’ouvert, 1996” berichtet beispielsweise ein Teenager davon, wie er mit seinem jüngeren Bruder an einem Sommertag durch die Straßen Brooklyns läuft, während die alleinerziehende Mutter ein Date mit ihrem neuen Liebhaber hat. In “Everything the Mouth Eats” geht es um zwei voneinander entfremdete Brüder, die sich zu einem Capoeira Festival neu kennenlernen. Wie in anderen Erzählungen auch, ist sie von Kindheitserinnerungen durchflochten, die eine von Armut und Missbrauch geprägte Vergangenheit zutage fördern. Auch “A Family” spart nicht an Tragik: Hier erzählt ein kürzlich aus dem Gefängnis entlassener Mann davon, wie er die Familie seines in einem Hausbrand gestorbenen besten Freundes beobachtet und nach einem Weg in eine erfüllte Zukunft sucht.
Das große Glück bleibt in diesen Erzählungen ein vager Hoffnungsschimmer. Keine der Familien ist noch intakt. Väter verschwinden in der nächsten Stadt oder im Knast. So ist der jugendliche Erzähler in “J’ouvert, 1996” sauer auf seine Mutter, weil sie ihm kein Geld für den Barbershop geben will, wo er – so die Vermutung – von anderen cleveren Männern umgeben wäre, “grooming each others masculinity” (31). Eine innere Unruhe, eine unbestimmte Wut treiben den Teenager durch die Straßen, der ein richtiger Mann sein will. Gleichzeitig lebt er in einer Gesellschaft, die viele junge schwarze Männer wie ihn weggesperrt. Eine Bekanntschaft auf der Straße rät ihm daher zu mehr Besonnenheit, im kollektiven Tanz eines Straßenfestes erfährt er schließlich, dass Gemeinschaft vielleicht wichtiger ist, als seine Männlichkeit.
Vorurteile und enttäuschte Erwartungen schimmern ebenso durch die meisten Erzählungen in A Lucky Man. In der Titelgeschichte erzählt ein Familienvater davon, wie er auf dem Weg zur Arbeit mit seinem Smartphone Bilder junger schöner Frauen schießt – weshalb ihn seine Frau wahrscheinlich verlassen hat. Ironischerweise wird er dann von einer weißen Frau angegriffen, als er versucht, in der Nähe einer Mädchenschule seiner eigenen Tochter eine SMS zu schreiben und sich dabei ungeschickt anstellt. In einer der besten Geschichten, “I Happy Am”, berichtet ein Junge davon, wie er mit seiner Kirchengruppe aus der Bronx einen Sommertag in einer reichen Vorstadt verbringen soll. Doch entgegen seiner sich aus den Erzählungen seiner Freunde speisenden Hoffnungen, öffnet ihnen bei diesem Ausflug keine wohlhabende weiße Familie ihr Haus, sondern eine schwarze Frau, die das Ghetto lange hinter sich gelassen hat. Plötzlich ist die Aussicht, von den Privilegien der weißen oberen Mittelschicht zu kosten, verpufft. Mit einer anderen Enttäuschung müssen die zwei Studenten aus “No More Than a Bubble” klarkommen. Sie versuchen bei einer Hausparty zwei Austauschstudentinnen aufzureißen, müssen am Ende der Geschichte aber schamhaft einer ganz anderen Entwicklung in die Augen blicken.
Männlichkeit, die Beziehung zwischen schwarz und weiß in Amerika sowie Gentrifizierung sind Fäden, die auf mehr oder minder prominente Weise in den Stoff dieser Geschichten eingewoben sind. Am deutlichsten wird das in “Clifton’s Place”, dem Schlusspunkt der Sammlung. Die titelgebende Bar ist eine alte Institution in der heutigen Hipster-Hochburg Brooklyn, sie ist ein “portal to an entirely different place” und “lost in time” (228). Hier finden sich immer weniger Alteingesessene ein, während “ofays” (ein abschätziger Begriff für Weiße) plötzlich die Szenerie bestimmen. Der Wandel der Umgebung spiegelt sich in der dement werdenden Besitzerin von Clifton’s Place, die der Protagonist Mitte der Erzählung orientierungslos in den Straßen findet. Er selbst hat den Wandel und das Verbleiben alter Schranken in Amerika Momente vorher zu spüren bekommen, als er eine junge weiße Frau zu ihrer Wohnung begleitete. Sie wohnt in dem Gebäude, in dem einst seine Mutter zur Welt kam und das heute ein moderner Wohnkomplex ist. Als er, der in seinem Leben kaum Wagnisse einging, sie zum Abschied küssen will, droht sie dem schwarzen Mann mittleren Alters mit Pfefferspray.
Mit viel Ruhe, Können und humorvollen, lebendigen Dialogen inszeniert Brinkley diese Streifzüge durch Brooklyn und die Bronx. Jede dieser Erzählungen hat mit mehr als zwanzig Seiten genügend Raum, glaubhafte Charaktere zu entwickeln und ein altes wie neues Brooklyn einzufangen. A Lucky Man ist ein inhaltlich komplexer, atmosphärisch dichter Erzählband, mit dem sich ein großes Talent in die amerikanische Literatur einschreibt.
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A Lucky Man erschien 2018 bei Graywolf. Eine deutsche Übersetzung liegt aktuell noch nicht vor.