Die endlosen Weiten des amerikanischen Westens haben seit jeher die Fantasie beflügelt. Doch mehr als ein Jahrhundert nach der Eroberung der vermeintlichen Wildnis wirken die jungen Männer in Callan Winks starken Erzählungen etwas verloren zwischen Alltag und dem Freiheitsversprechen atemberaubender Natur.
Naturverbunden, wortkarg, schroff und entschlossen: So stellt man sich die Männer des amerikanischen Westens vor. Im 19. Jahrhundert haben sie das Land in Blut getränkt, es den Ureinwohnern abgerungen und von Büffeln befreit. Heute ist Montana, der Bundesstaat, in dem die meisten der neun Erzählungen in Der letzte beste Ort (im englischen erschienen als Run Dog Moon) angesiedelt sind, der am wenigsten besiedelte Ort der USA. Callan Wink, Jahrgang 1984, arbeitet hier als Fishing Guide auf dem Yellowstone River. Das merkt man auch: In einer Geschichte philosophieren ein Großvater und sein Enkel über das Angeln von Barschen, in einer anderen unternimmt ein Vater-Sohn-Gespann einen Angel-Trip nach dem Tod der Mutter (ein junger Fishing Guide hat hier einen Gastauftritt). Auch sonst schimmert sein Auge für die Landschaft aus schroffen Bergen und weitem Grasland immer wieder in stimmigen Beschreibungen durch. Wer sonst sollte schon schildern können, wie es sich anhört, durch einen mit Seerosen überwucherten Teich zu rudern?
Landschaftsbeschreibungen sind natürlich nicht der Kern dieser Erzählungen, acht davon mit zehn bis dreißig Seiten Länge. Die finale Geschichte spannt einen etwas größeren Bogen und erschien als Novelle erstmals beim New Yorker (hier im englischen Original nachzulesen). Verlust, Gewalt, Einsamkeit durchziehen viele dieser Geschichten auf die eine oder andere Weise. In der Eröffnungsgeschichte „Run Dog Moon“ rennt ein nackter Mann mit blutigen Füßen atemlos über das schroffe Gestein Montanas Berglandschaft. An seiner Seite der Hund, den er seinen Verfolgern gestohlen hat. Nur hat er ihn in seinen Augen befreit, weil er auf ihn – selbst frisch getrennt – vernachlässigt wirkte.
In einer anderen Erzählung beauftragt ein Farmer seinen Sohn damit, die zirka fünfzig Katzen, die den Heuschober bevölkern, zu töten. Für jeden Katzenschwanz, den er ihm bringt, bekommt er einen Dollar. Wink ist weniger daran interessiert, die schönen Vistas, die Montana zu bieten hat, nachzuzeichnen. Ihm geht es um innere Landschaften: In „Breatharians“ – im Kern eine Coming-of-Age Geschichte, die die Perspektive des Jungen annimmt – tritt Grausamkeit nicht nur in Form von Gewalt zum Vorschein. Vater und Mutter leben getrennt voneinander in unterschiedlichen Häusern der Farm. Im alten Haus der Großeltern lebt die Mutter, die dem Farmleben nur wenig abgewinnen kann, im neuen, einst für die junge Familie gebauten, zugigen Haus ist die junge Aushilfe eingezogen, die der Vater anstellte, als die Mutter dem Jungen untersagte, weiter mitzuarbeiten.
Der Westen gilt in Amerikas kollektiver Erinnerung als Ort der Erneuerung und Selbstverwirklichung, der Selbstbestimmung und der zweiten Chance. Vielen Protagonisten in Callan Winks Erzählungen aber fehlt es an Entschlossenheit und Visionen. Der Westen samt seiner Geschichte tritt zuweilen als Simulation seiner selbst in Erscheinung. In „One More Last Stand“ spielen Laiendarsteller und Geschichtsenthusiasten die Schlacht am Little Bighorn nach, bei der 1876 das 7. US-Kavallerie-Regiment unter George Armstrong Custer von Indianern niedergemetzelt wurde. Der Protagonist kommt seit sechs Jahren hierher und unterhält eine Affäre mit einer Nachfahrin dieser Ureinwohner. Nach dem Sex telefoniert er mit der daheim gebliebenen Frau, die an Brustkrebs erkrankt ist.
In „Exotics“ flieht der leidenschaftlose Lehrer James während der Sommerferien von seinem Leben. Umziehen, sterben, sich trennen, die Tragödien des Lebens werden von braunen Pappkartons begleitet, wie James seiner Affäre berichtet, während die Freundin zuhause ihre Sachen zusammenpackt. Seine Flucht vor dem Leben führt ihn nach Texas, wo sein Bruder dabei ist, eine Familie zu gründen. Beide Männer beneiden sich gegenseitig und befinden sich damit im typischen Dilemma des wilden Westens: Freiheit oder soziale Bindung?
James landet letztlich auf einer Farm, auf der wohlhabende Männer exotische Tiere jagen können. Das ehemals wilde Land wird hier zum Freizeitpark für gewaltaffine Geschäftsmänner. Am Ende des Sommers will James dennoch bleiben: Das Gefühl gebraucht zu werden, unentbehrlich zu sein, fehlt James wie vielen anderen Charakteren in Der letzte beste Ort. Doch sein Vorarbeiter macht ihm keine Illusionen:
Indispensible don’t exist. God’s a junk man and he’s got spare parts to replace everything he’s ever made.
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Besprochen wurde die englische Taschenbuchausgabe, wie sie bei Granta unter dem Titel Run Dog Moon 2016 erschien. Die deutsche Ausgabe erschien ebenfalls 2016 unter dem Titel Der letzte beste Ort bei Suhrkamp.
Callan Winks Debütroman August erschien 2020. Zur Rezension.