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“Wir sind ja auch Menschen hier draußen”: Die kennen keine Trauer von Bjarte Breiteig

Die kennen keine Trauer Bjarte Breiteig Luftschacht Rezension Der Wiener Luftschacht Verlag hat mit Die kennen keine Trauer von Bjarte Breiteig einen äußerst ökonomisch erzählten Band im Programm. Die sieben Erzählungen begnügen sich mit 80 Seiten. Viel zu kurz, denkt man. Aber das heißt ja nichts Schlechtes: Die guten Erlebnisse sind schließlich immer viel zu schnell vorbei. Das bedeutet allerdings nicht, dass Die kennen keine Trauer von schönen Momenten erzählt.

Die Skandinavier, die mir in meinem bisherigen Leben über den Weg liefen, waren immer sehr freundliche, offene Personen. Die kennen keine Trauer läuft diesem Eindruck entgegen. Die langen Nächte müssen ja auch irgendwie auf das Gemüt schlagen. Und so bringt der Norweger Bjarte Breiteig eine innere Dunkelheit, die sich in seinen Protagonisten eingenistet hat, in seinen Texten zum Vorschein.

Trotz der Kürze der Sammlung gibt man ihnen als Lesender am besten etwas Raum. Ein Schnellleser kommt in einer Stunde durch die sehr konzentrierten, minimalistisch gehaltenen Texte. Danach könnte man sich allerdings ein wenig entrückt fühlen. Nein, es sind sicher keine fröhlichen Geschichten. Die kennen keine Trauer erzählt von den Bruchstellen, die sich im Leben auftun, von in Sprachlosigkeit erstickten Emotionen und Enttäuschungen.

Diese Sprachlosigkeit bricht sich in der ersten Erzählung “Die kennen keine Trauer” als Zerstörungsorgie bahn. Hier schleichen sich zwei Schulaußenseiter aus dem Schwimmunterricht, um im Keramikraum scheinbar ohne Anlass alles zu Kleinholz zu schlagen. Impulsgebend ist dabei Karsten, den der Erzähler als “komisch” beschreibt und über den er weiß, dass er einmal fast ertrunken wäre: “Vielleicht hätte er eigentlich tot sein sollen” (S. 7), bemerkt der Erzähler etwas lapidar und schildert in enervierender Ruhe, wie beide Jungen völlig eskalieren. Der Erzähler zieht seinen Außenseiterstatus aus der Tatsache, dass er von seinen Mitschülern immer noch “der Neue” genannt wird, obwohl er seit einem Jahr an der Schule ist. Die beiden Teenager haben es also nicht unbedingt einfach und es fehlt ihnen offenbar die Fähigkeit und Unterstützung, produktiv damit umzugehen.

Sich mit etwas allein fühlen, die Schwierigkeit, die innere Dunkelheit mit dem Mittel der Sprache ins Licht zu führen, das schwingt auch in “Nichts passiert” mit. In diesem zweiten Text erzählt Breiteig von einem Arbeiter an seinem letzten Tag. Den Körper zerschunden, blickt der Mann nun in eine Zukunft, die sich wie ein Warten auf den Tod liest: “Dasitzen und das Messer spüren. Das war das einzige, was blieb”. Oft sind es Ersatzhandlungen, mit denen die Protagonisten ihrem Unglück aus dem Weg gehen wollen und es damit nur verstärken. Eine große Wortlosigkeit lauert auch in “Für Ronnys Hund”. Die Erzählung ist wie “Nichts passiert” in einem männlich geprägten Arbeitermilieu angesiedelt und beschreibt Ronnys ersten Arbeitstag nach einem Selbstmordversuch, den er unternahm, nachdem er von seiner Freundin verlassen wurde. Die fundamentale Traurigkeit, die aus jeder Zeile sickert, äußert sich in den kameradschaftlichen Phrasen der Kollegen, die in einem kollektiven Saufgelage vor der eigenen Sprachlosigkeit kapitulieren.

In “Stockholm” dient das Internet als Weg, einer Konfrontation mit den Lebensbrüchen aus dem Weg zu gehen. Es ist Weihnachten und eigentlich sollte der Ich-Erzähler bei der Familie seiner Freundin feiern. Doch sie hat ihn verlassen und so verbringt der junge Mann die Feiertage auf einer Dating App und Pornoseiten, anstelle emotionale Unterstützung bei seiner Mutter zu suchen, die er über seine Situation belügt.

Die Menschen in Die kennen keine Trauer haben Verbindungsprobleme. Sie wirken wie Losgelöst von einer Gemeinschaft, die in diesen Texten eigentlich kaum vorkommt. Nicht nur von ihren Mitmenschen, auch von den eigenen Emotionen wirken sie abgeschnitten. Oftmals verbirgt sich hinter dem großen Schweigen eine Scham über Fehlschläge und Enttäuschungen. Doch diese vermeintlichen Schwächen, die man glaubt verbergen zu müssen, suchen sich immer wieder neue Ventile – als Rückenschmerz, Aggression oder Alkoholismus. So gesehen ist Breiteig ein etwas schwermütiges, aber auf ganzer Linie überzeugendes Plädoyer dafür gelungen, sich mitzuteilen.

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Die kennen keine Trauer erschien erstmals 2000 als Surrogator. Die Übersetzung ist von Bernhard Strobel. Der Erzählband ist bei Luftschacht erhältlich.