Der Jahresanfang ist immer eine gute Zeit, um sich den Büchern zu widmen, die man schon lange aufschlagen wollte. Während also die ersten Titel des Frühjahrprogramms eintrudeln, nahm ich mir den zweiten Teil von Cormac McCarthys Border Trilogy, The Crossing, zur Brust. Und um nicht allzu melancholisch dabei zu werden, sprenkelte ich zur Erheiterung ein paar Erzählungen von Tennessee Williams dazwischen.
Mit Katze auf dem heißen Blechdach hat Tennessee Williams mein liebstes Theaterstück geschrieben. Das heißt erst einmal nicht viel, da ich mich eher selten ins Theater verlaufe. Aber es ist der einzige dramatische Text, den ich gleich zwei Mal gelesen habe – Wiederholungen nicht ausgeschlossen. Als ausgesprochener Liebhaber von Kurzprosa war meine Neugier auf Williams den Erzähler entsprechend groß.
Die Collected Stories zeigen, warum Tennessee Williams‘ Ruhm nicht auf seinen erzählerischen Texten fußt. Das soll nicht heißen, dass die 49 Texte schlecht sind. Nur, dass nicht alle funktionieren und es große Schwankungen in ihrer Qualität gibt. Fast alle haben aber diesen wunderbar süffisanten Tennessee Williams-Sound, der ihn zu einem der populärsten amerikanischen Dramatiker des 20. Jahrhunderts machte (einige der versammelten Texte wurden von Williams auch zu Theaterstücken umgearbeitet). Und obwohl diese zwischen 1928 und 1977 entstandenen Texte als Sammlung aufgrund der schwankenden Qualität wenig homogen erscheinen, sind sie unverkennbar von einer Hand und enthalten einige echte Perlen.
Mein Highlight ist ganz klar “Two on a Party”. Williams erzählt hier von Billy und Cora, die sich in einer New Yorker Bar begegnen und beschließen, zusammen eine Weile zusammen Party zu machen. Billy ist ein schwuler Schriftsteller, der unter einer Schreibblockade leidet und sich von seinen Ersparnissen eine aufregende Zeit im Big Apple machen will. Cora kommt aus den Südstaaten, hat Geld und wie Billy keine tiefergehenden menschlichen Verbindungen. Beide verbringen die gemeinsame Zeit irgendwo zwischen Rausch und Einsamkeit. Die Freundschaft gründet sich nicht nur in Zuneigung, sondern vor allem auch in konstanter Bewegung:
Why do we do it?
We’re lonely people. I guess it’s as simple as that…
But nothing is ever simple! Don’t you know it?
Größere Komplikationen bleiben aus (außer derer, dass Cora in Billy verschossen ist). Manchmal ist es eben doch so einfach. Die Erzählung fängt etwas ein, das sicher vielen Lesern aus ihren Zwanzigern bekannt sein dürfte: Man verbringt die intensivste Zeiten mit Leuten, die man plötzlich aus den Augen verliert, sobald das Licht angeht und die Party vorbei ist.
Williams‘ flotte, mühelose Sprache ist zweifelsfrei die Attraktion seiner Texte. Unter dem beschwingten Erzählfluss wohnt dabei meistens eine kaum zu ignorierende Melancholie. Einsamkeit, unerfüllte Sehnsüchte und ein Bild vom Menschen als eigennützig, misstrauisch und gehässig verbindet die Erzählungen auf thematischer Ebene über die Jahrzehnte hinweg. Es sind natürlich auch Dinge, die Williams am eigenen Leben erfahren musste: Seine geliebte Schwester wurde einer Lobotomie unterzogen und in der Folge ein Pflegefall. Als schwuler Mann waren ihm in seiner Zeit Missgunst und Feindseligkeiten ebenfalls nicht unbekannt. “Something About Him”, ein weiterer Höhepunkt der Sammlung, bringt diese unausgesprochene und doch allzu spürbare Verachtung eindrucksvoll zum Ausdruck. Im Tante Emma Laden der Kleinstadt Biloxi wird ein neuer Verkäufer eingestellt, der der Gemeinde einfach nur suspekt ist. Sein Fehler ist eine Höflichkeit, die als “gruesomely excessive” beanstandet wird. Noch dazu hat dieser unverschämt freundliche Mann keinerlei familiäre Verbindungen im Ort. Der (wahrscheinlich schwule) Mann bleibt suspekt und muss die Gemeinde wieder verlassen.
Das Außenseiter-Motiv wird auch in “A Recluse and His Guest” aufgenommen. Hier kommt eine rätselhafte Nomadin bei einem kautzigen Einzelgänger unter. Auch sie muss am Ende gehen. Beide Figuren bleiben sich und dem Leser so fremd wie das Ende der Erzählung, dem wohl die ernüchternde Botschaft innewohnt, dass Warmherzigkeit die Macht der Gewohnheit und des Misstrauens nicht aufzutauen vermag.
Die amerikanischen Kleinstädte des Südens sind immer wieder Austragungsort dieser zwischenmenschlichen Dramen (Williams wurde 1911 in Mississippi geboren). Die Gehässigkeit der Leute färbt dabei auf Williams‘ Erzähler ab – die hier nicht als neutrale Beobachter das Geschehen wiedergeben, sondern sich oft einem ähnlich lästernden Tonfall wie die Figuren hingeben. Das macht diese Geschichten trotz der teils tragischen Ereignisse zu köstlich-bösen Bonbons. “Miss Coynte of Greene” erzählt beispielsweise von einer Alleinstehenden, die ihre bettlägerige Großmutter mit einem schnippischen Kommentar ins Grab bringt. Die Doppelmoral der Südstaaten kommt im Anschluss zur vollen Blüte, als die Protagonistin ein Antiquariat öffnet und die Habseligkeiten der verhassten Großmutter verscherbelt. Das Erbe der Südstaaten wird auf weitere Weise geplündert, denn Miss Coynte stellt in ihrem Laden bevorzugt schwarze Männer ein, die ihr nicht nur beim Tragen von Möbeln helfen sollen.
Diese Kleinstadtgeschichten sind die Schätze dieser Sammlung. Darunter sind aber einige Texte, die nicht rund sind und als Szenen in einem Theaterstück besser funktionieren würden. “The Dark Room” ist beispielsweise ein Dialog zwischen einer Sozialarbeiterin und einer Mutter, die keinerlei Fürsorge gegenüber ihren verwahrlosten Kindern zeigt. Doch die Erzählung führt ins Nirgendwo, ergötzt sich lediglich am exponieren armer, ungebildeter Menschen. “The Inventory at Fontana Bells” nimmt eine alte, herrschsüchtige Adlige in herrlich schnippischen Ton aufs Korn, bietet aber sonst kaum Substanz. Ebenfalls enthalten ist mit “The Vengeance of Nitrocris” die erste veröffentlichte Story von Williams, die erschien als dieser gerade einmal 16 Jahre alt war. Mehr als die Fingerübung eines heranreifenden Schriftstellers ist die bloße Nacherzählung ägyptischer Mythologie jedoch nicht.
Bei einer so umfangreichen Sammlung eines Schriftstellers, der primär als Dramatiker Bekanntheit erlangte, sind solche Ausrutscher weder überraschend noch ärgerlich. Denn letztlich atmen viele dieser Erzählungen die schwüle Luft der Südstaaten und unterhalten mit Williams wunderbar lesbarem Plauderton.
Also: Sollte man Williams Kurzprosa einmal gelesen haben? Bereuen wird man es sicherlich nicht!