Auch in diesem Jahr findet der Palais Sommer ohne das japanische Palais statt. Letztes Jahr war die Empörung groß, als sich ein anderer Veranstalter das Areal geschnappt hatte. Beim Namen ist man dennoch geblieben an den neuen Austragungsorten Neumarkt, Ostra-Dome und Alaunpark. Das Festival lebt eben mehr von seiner Haltung als von seiner Örtlichkeit.
Zumindest gilt diese Beobachtung für mehrere Besuche am Ostra-Dome im letzten Jahr. Zum Neumarkt schaffte ich es trotz Neugier nicht: Einerseits sprach mich das Programm am Ostra-Dome mehr an und dann gab es noch den inneren Widerstand gegenüber einem Palais Sommer ohne Picknickdecke zu überwinden. Denn eine Wiese gibt es am Neumarkt freilich nicht – dafür wohl aber die spektakulärste Kulisse, die man sich in Dresden vorstellen kann.
Am gestrigen Mittwoch wurde die neue Saison eröffnet – am Ostra-Dome wird laut Programm erst ab 29. Juli gespielt. Ohne Picknickdecke unter dem Arm ging es relativ pünktlich zur Auftaktveranstaltung “Freiheit – Schöner Götterfunken” mit dem Künstlerkollektiv Cerca Dio. Doch dazu später mehr. Denn vor dem Drama ist nach dem Drama: Überall wo es Menschen gibt, gibt es Theater zu sehen. Man muss nur die Augen öffnen. Beim Betreten des Festgeländes – die Veranstaltung ist freilich auch von außerhalb, beispielsweise den Außenplätzen der hiesigen Gastronomie zu beobachten -, gilt die Feststellung, dass wer es bequem haben möchte, besser früh kommt, um einen der Liegestühle zu ergattern. Teilweise wurden die zur Begrünung des Geländes aufgestellten, hochbeetartigen Pflanzkübel als Sitzgelegenheiten genutzt – Kopfsteinpflaster ist eben keine Wiese. Doch bevor ich die (letztlich ausweglose) Suche nach einer schönen Sitzgelegenheit aufnahm, reihte ich mich in eine der Gastro-Schlangen ein, um mir eine Erfrischung zu besorgen.
Ich wurde bestens unterhalten: Vor mir eine Frau in Begleitung zweier Herren, deren Arm-Bereifung darauf hinwies, dass sie geladene Gäste sind. Augenscheinlich Menschen besseren Standes, war die Dame ersucht, die Aufmerksamkeit einer Person zu erhaschen, die soeben ein Tablett leerer Sektgläser hinfort transportierte: Wo bleibe ihr kostenloses Getränk – man sei schließlich geladene Gäste, mit (Festivalgründer) Herrn Polenz persönlich bekannt! Die Information, dass die Veranstaltung sogleich beginne und der Sektempfang vor einer halben Stunde war, prallte an der Frau, deren sozialer Stand mehr an ihrer Attitüde als an ihren Flip-Flops abzulesen war, kühl ab. Währenddessen ging es in der Schlange vorwärts, die drei Persönlichkeiten tauschten sich eifrig aus, was man denn bestellen möge – ganz unabhängig davon, ob das kostenlose Getränk noch kommt oder nicht. Etwas enttäuscht stellte die Frau fest, dass der Rosé nur Cuvée und kein Riesling ist (au weh!) und wurde dann noch weiter erzürnt: Zahlen wolle man nur den Comuneo-Preis (ein Rabattsystem für den Freundeskreis des Veranstalters), konnte diesen Comuneo-Status aber nicht nachweisen. “Ich kenne Herrn Polenz persönlich, Sie wollen nicht, dass ich ihn hole”, fauchte es und verschwand. Herr Polenz tauchte nicht an der Bar auf, denn schon eine Minute später stand er auf der Bühne, um die Veranstaltung zu eröffnen. Einer der Herren wollte sodann die Bestellung bezahlen, aber es ging nicht mit Karte. Deutschland. Entnervt ließ der Kellner die feine Gesellschaft ohne zu zahlen (aber mit Rosè) von dannen ziehen und ich konnte mein 5-Euro-Pils zahlen. Welch dramatische Vorstellung – ich konnte das Hauptprogramm nun kaum erwarten!
In der Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens – Friedrich Schiller.
Ohne Sitzplatz für mich und mein Bier saß ich abwechselnd auf meinem Rucksack oder lauschte der Vorstellung um die Bühne wandelnd. Eine weitere Beobachtung: Das Publikum ist hier deutlich weniger durchmischt, als man es vom japanischen Palais oder Ostra-Dome kennt – eher ältere Semester, paarweise, wohl gekleidet, lieber Wein als Bier.
Genug des Dresden-Dünkels, möchte man nun rufen, wenn die Veranstaltung selbst nicht deutlichen Bezug zur Stadt und ihrer gelegentlichen Piefigkeit hätte: Denn Cerca Dio präsentierte ein um Schillers Ode an die Freude gestricktes Programm. Neun Musiker und ein Schauspieler (Johannes Gärtner) waren auf der Bühne für eine erstklassige hochkulturelle Darbietung, die sich aus Schillers Dresdner Jahren spies. Denn dieser verfasste seine Ode an die Freude wohl während seines dreijährigen Aufenthalts in Dresden. Johannes Gärtner rezitierte aus Briefen Schillers und dessen literarischem Werk und da war ein magischer Moment, als er das Wort Glocke in den Mund nahm und just die Frauenkirche zu läuten begann – leider fünf Minuten lang, sodass man seinem weiteren Vortrag doch nur mit Mühe folgen konnte. Gärtners Vortragsstil brachte wunderbar einen Humor in Schiller zutage, der mir während der Schulzeit, seit derer ich mich nicht mehr mit dem Dichter beschäftigte, verborgen blieb. In Briefen an seinen Freund Christian Gottfried Körner, in dessen Sommerhaus er zu Fuße Dresdens Weinbergen residierte, sowie seinem Verleger und anderen schwärmt und lästert er über die Stadt und ihre Bewohner, die er wohl als seicht und unleidlich empfand. Vielleicht hat der Dichter ja beim Bierbestellen ähnliche Beobachtungen gemacht wie ich an jenem Abend! Der Vortrag des Dichters wechselte sich mit Beethovens und anderen zeitgenössischen Kompositionen ab – gekrönt selbstverständlich durch die Europahymne.
Mehr Unterhaltung kann man in 90 Minuten bei kostenlosem Eintritt wahrlich nicht erwarten. Schön, dass der Palais Sommer wieder da ist – das nächste Mal dann aber Ende Juli wieder mit der Picknickdecke unterm Arm.
Zum Programm des Palais Sommers.
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