Algorithmen haben schon längst großen Einfluss auf unser Leben, sie schlagen vor, welchen Film wir als nächstes bei Netflix sehen – Algorithmen spielen auch eine Rolle bei der Entscheidung darüber, welche Filme überhaupt entstehen – oder welche Produkte wir noch kaufen können. Kaum ein Begriff aus der IT steht seit einiger Zeit so hoch im Kurs wie Künstliche Intelligenz, der trotz seiner oft erwähnten fundamentalen Bedeutung für Gesellschaft und Wirtschaft nicht so ganz im Verständnis der Gesellschaft angekommen ist. Die neue Sonderausstellung Künstliche Intelligenz: Menschen – Lernen – Menschheitsträume des DHMD bringt ihn nun anschaulich näher, erklärt und zeigt, informiert über Risiken und Chancen.
Welch Wohltat: Nach zwei Jahren konnte erstmals unter 2G-Auflage wieder eine Sonderausstellung des DHMD feierlich eröffnet werden, es ist die letzte unter Direktor Prof. Klaus Vogel, der die Veranstaltung wieder charmant eröffnete. Neben dem üblichen Zeremoniell, das Veranstaltungen dieser Art begleitet, war hinsichtlich des Themas die Keynote des wissenschaftlichen Co-Kurators Dr. Thomas Ramge erhellend. Der machte erst einmal den Paradigmenwechsel deutlich, der sich mit Künstlicher Intelligenz in der IT vollzieht. Klassische IT sei top-down, Computer spucken dem Benutzer also vom Menschen einprogrammiertes Wissen aus. Dieses Verhältnis dreht sich mit Künstlicher Intelligenz, welche man besser unter dem Begriff maschinelles Lernen versteht: Systeme – künstliche neuronale Netze – können aufgabenspezifisch auf Basis großer Datenmengen trainiert werden. So ist es diesen System beispielsweise möglich, selbständig Formen zu erkennen. Den Unterschied zu menschlicher Intelligenz macht Dr. Ramge, ich zitiere aus dem Gedächtnis, wie folgt deutlich: “Künstliche Intelligenz ist nicht in der Lage herauszufinden, was zu tun ist, wenn wir nicht wissen, was zu tun ist”. Der Mensch kann sich aufgrund seiner kognitiven Fähigkeiten also völlig neue Situationen erschließen, künstliche neuronale Netzwerke können dies nicht, da ihre Intelligenz sich aus großen Datenmengen speist, die in einer neuen Situation natürlich nicht vorliegen können.
Diese grundlegende Einführung stellt so dann auch die eigentliche Ausstellung dar in fünf recht überschaubaren, in ihrer Gesamtheit jedoch sehr umfangreichen Räumen. Im ersten werden die “Muster der KI-Geschichte” dargestellt. Wir sehen teils altertümliche Beispiele des Menschen und seinem Traum maschineller Helfer, die vom mythischen Golem aus der jüdischen Literatur bis zum Handwaschautomaten des Universalgelehrten Ismail al-Jazari reichen. In diesem ersten Raum gilt: mehr lesen als beobachten und erfahren.
Anschaulicher geht es im zweiten Raum mit der Überschrift “Trainingsraum” weiter. Künstliche neuronale Netze werden beschrieben und anhand interaktiver Exponate anschaulich gemacht. Dabei erkennt man auch: So schlau sind sie noch nicht. Eines der Exponate machte den Erkennungsprozess neuronaler Netzwerke anschaulich, indem man Objekte unter eine Kamera halten konnte. An Bildschirmen wurden Erkenntnisebenen dargestellt, bis der letzte das Ergebnis zeigte. Mit den zur Verfügung gestellten Objekten wie einer Paprika und einem Trinkhalm funktioniert das einigermaßen gut (eine Paprika könnte aber auch eine Niere sein), beim Tiger stellte sich die künstliche Intelligenz aber ziemlich dumm an (sie wurde wohl noch nicht entsprechend trainiert). Ein anderes Exponat ließ Besucher eine künstliche Intelligenz beim Fahren antrainieren. Man wird also, wie eigentlich immer in diesem Hause, animiert und involviert.
Bei einem so lebensnahen wie abstrakten und für nicht-Informatiker komplizierten Thema ist das nahbar und erfahrbar machen natürlich keine einfache Sache und so gibt sich der folgende Raum “Globale Infrastruktur der IT” wieder etwas theoretischer, aber nicht weniger interessant. Die globale Vernetzung und die dahinter liegenden Prozesse (z.B. in Form der Verlegung von Glasfaserkabeln im Ozean) werden anschaulich gemacht. Kritischer wird es, wenn die Rolle bei der Aufteilung dieser Infrastruktur durch Tech-Giganten wie Microsoft und Amazon hinterfragt wird. Hier hätte man sich gewünscht, wenn das andere große Thema unserer Zeit, die Klimaveränderung, eine prominentere Nebenrolle gespielt hätte. Denn sind die Datenserver schon heute riesige Energiefresser. Die Aussicht, dass sich das globale Datenaufkommen bis 2024 verdoppeln wird, lässt erahnen, dass der Energiebedarf nicht weniger werden wird.
Der vorletzte Raum zeigt “Unsere Gegenwart mit KI”. Hier sind positive wie negative Beispiele dessen zu sehen, wie maschinelles Lernen schon heute unser Leben beeinflusst. Von der Entwicklung neuer Medikamente bis hin zu skurrilen künstlichen Haustieren und Chat-Roboter-Apps gibt es einiges zum staunen. Anderes macht wütend, wie ein Blick hinter die Kulissen von Googles Sprachassistent, bei dem, zum Zwecke des trainieren der Künstlichen Intelligenz, Gespräche von Nutzern durch andere Menschen transkribiert werden – nicht alle Gespräche sind scheinbar an den Assistenten gerichtet (auch der Schutz unserer Daten wird ein zentrales Thema im Umgang mit KI sein).
Der letzte Raum stellt die Frage nach unserer Zukunft mit künstlicher Intelligenz. Dazu sind viele Videos gereicht, in denen u.a. Wissenschaftler zu durchaus ethischen Fragen in Bezug auf KI Stellung beziehen. Die Gefahr der Beeinflussung durch Fakes ist schon heute real, eine “Detox Bar” gibt Empfehlungen für einen sicheren Umgang mit diesen Technologien und schließt die Ausstellung.
Künstliche Intelligenz: Menschen – Lernen – Menschheitsträume ist eine interessante und anschaulich aufbereitete Ausstellung, die sich ihrem Thema aus verschiedenen Blickwinkeln nähert und sie punktuell auch spielerisch erfahrbar macht. Ein Highlight der Eröffnungsveranstaltung illustrierte das wunderbar: Die algorithmic perfumery lässt Nutzer eine Art Persönlichkeitstest machen, auf Basis dessen die Algorithmen ganz individuelle Düfte herstellen, die Nutzer auch gleich abgefüllt bekommen und mitnehmen dürfen (siehe Beitragsbild). Nach der ersten Geruchsprobe soll der nun Einparmümierte die Leistung der künstlichen Intelligenz bewerten und sie so mit weiteren Daten füttern – je mehr Daten, desto klüger. Es ist ein blumiges Beispiel für die Funktionsweise und die Möglichkeiten, die in dieser Technologie stecken. Man braucht es natürlich nicht, aufregend ist es trotzdem.
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Künstliche Intelligenz: Menschen – Lernen – Menschheitsträume ist bis zum August 2022 im DHMD zu sehen.
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