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Tiger Goes Wild!

Der Tiger geht zeltenWeil Auslandsreisen aktuell ja uncool sind und ohnehin wenig Planungssicherheit besteht, man aber dennoch was erleben will, abschalten, am besten draußen und am Wasser, Sommerurlaub eben, geht man die Sache mal etwas wilder an, mit mehr Ideen und weniger Plänen, weniger buchen und mehr entdecken, die Unterkunft ein Zelt, die Halbpension ein Einweggrill und Gaskocher – Wasserblick nicht garantiert, aber jeden Abend das Ziel. Ein Zeltabenteuer in 5 Kapiteln.

Steinbruch L.

Ein Zeltabenteuer über drei Bundesländer hinweg, der Start glückte in einem Steinbruch nördlich von Dresden – die Reiserichtung allgemein immer gen Norden, denn dort ist die Ostsee und im Süden die Unwetter. Das Wasser ist glasklar und ziemlich frisch, das Ufer nur spärlich besucht. Über dem Wasser, umringt von Bäumen, werfen wir in der Dunkelheit das Zelt auf, schlecht geschlafen – den Biolärm ist man einfach noch nicht gewöhnt.

Der nächste Morgen: Aus zerknitterten Augen hinaus geschaut auf den ruhig liegenden See, zum Wachwerden kurz hineingesprungen, während das Kaffeewasser am Ufer kocht. Derartig von außen und innen erfrischt geht es zurück auf die Straße, im Visier ein lang gehegtes Ziel meinerseits, dem gebürtigen Brandenburger, der noch nie in Brandenburg an der Havel war, aber mal in einer Dokumentation sah, dass es ganz hübsch dort sei.

Brandenburg an der Havel

Und das ist es auch. Sehr sogar. Fast denkt man an Venedig oder Amsterdam? Nur kleiner und weniger wuselig und um einiges günstiger. Aber wie diese Touristenmagneten nah am Wasser gebaut, mit gut erhaltenen Originalteilen, geklinkerten Häusern und Kirchen. Man träumt vom Haus am Wasser, dem Arbeitsweg per Boot. Wir schlendern durch die Stadt und sind ganz erstaunt, dass sie kaum einer kennt. Man möchte meinen, sie existiert nur im Hörensagen, ein Druckfehler auf der Landkarte, aber es gibt sie wirklich, man sollte sie sich ansehen.

Zum Zelten fahren wir raus aus der Stadt, Seen gibt es in der Gegend genug. Diese balancieren zwischen touristischer Nutzung und Naturschutzgebiet – wie eigentlich fast alle Ziele, die hier beschrieben sind. Der erste Sandstrand nach kaum einer halben Stunde Fahrt zeigt sich als Zeltkandidat. Man lässt sich erstmal nieder, die Sonne brutzelt, man ist viel gelaufen, ein Bad täte gut. Das Wasser ist hier viel wärmer als am Steinbruch, pittoresk treiben Haus- und Segelboote auf dem See, der ziemlich algig ist. Das macht dann weniger Freude. Es ist eher ein See der Atmosphäre als des Badens – man genießt ihn besser vom Ufer aus.

So schön ist Brandenburg
So schön ist Brandenburg

Bald kommt die Frage auf, wie lang ein Sonnenuntergang dauern kann und mit wie vielen Farben? Blau und orange und rot und silbergrau blutet der Himmel über Stunden ins Wasser. Die Farben waschen um ein paar Seerosen als wäre das keine Aussicht, sondern ein Gemälde von Monet. Die Natur ist so lebendig wie der Mensch: Von einem Hausboot schallt „Hey Joe“ in die bunte blaue Stunde, die Frösche quaken dagegen an, ein Greifvogel holt sich einen Fisch, die Zeit verliert sich, die Mücken genießen ein Festmahl.

Rügen

Silbrig ist der Morgen als man zu früher Stunde aus dem Zelt schaut. Der Wetterradar verspricht Sonne im Norden und aufziehende Wolken im Süden. Wir denken nicht lange nach, packen ohne Frühstück das Zelt ein, gegen Mittag wird man in Rügen sein.

An der touristisch erschlossenen und dennoch glücklicherweise sehr naturgeschützten Ostsee stellt man sich das Finden eines Wildzeltplatzes schwerer vor, als es dann war. Man steuert direkt den Strand an, erstmal baden. Die Ostsee begrüßt uns frisch und mit Quallen. Immer diese Natur! Man schaut eine Weile aufs Meer und im Sand ein bisschen nach Bernstein. “Das hat so viel Schönes” ist seit drei Tagen Enricos Reismantra. Ich frage trotzdem, ob er sich mal die Platte einschmieren will – kein Wölkchen trübt den Himmel.

Zimmer mit Meerblick
Zimmer mit Meerblick

Rügen ist hier so schmal, dass nur eine Straße zwei Strände teilt. Auf der einen Seiten treiben faul die Quallen ihrem Sonnentod entgegen, auf der anderen donnern Kitesurfer über das vom Wind aufgepeitschte Meer. Das Zelten betreffend hat beides seine Vor- und Nachteile: In der Windstille von Mücken gefressen werden oder unruhig unterm zitternden Zeltdach schlafen? Warum entscheiden – wir bleiben zwei Tage und ziehen ein Mal über die Straße.

Zeit für eine ausgedehnte Inselerkundung: Beim Rumfahren abseits des Wassers denk ich ein bisschen an Brandenburg: Schmale Straßen mit Alleen-Bepflanzung, jemand fährt sich sogar tot, Kiefernwälder, Felder, alle zwei Kilometer ein kleines Dorf. Das Internet ist auch nicht so der Knaller. Laut meines Netzanbieters war ich im Netz dreier Länder (Polen, Dänemark, Schweden).

Bringt Bargeld mit: Kartenzahlung hat man hier nicht gern. Eine Feststellung, die mich um den Genuss einer Rhabarber-Baiser-Torte brachte. Sie sollte als Belohnung nach einer langen Wanderung entlang der – atemberaubend! – Kreidefelsen dienen. Das Leben ist eben nicht ohne Entbehrungen.

Kreidefelsen auf Rügen
Kreidefelsen auf Rügen

Völlig zurecht UNESCO Weltkultur-Erbe, der WWF mischt auch irgendwie mit, hat man sich eine kleine Touristenfalle ausgedacht, von der mein Begleiter nicht abzubringen war – hätte er mal die Sonnencrem benutzt. In Königsstuhl versucht man eine Kreidefelsen-Aussicht für sich zu kapitalisieren, die man so ähnlich ein paar Wandermeter auch kostenlos haben kann, ohne den Baulärm, den man hier veranstaltet, um – wie umweltfreundlich! – ein paar Bäume für eine neue Aussichtsplattform zu fällen. Man kann sich also auch nicht trösten, dass das Geld einer guten Sache zugeführt wird und man neben diesen Bauarbeiten einen Haufen planloser Studenten, die – aussichtslos – auf Coronaregeln hinweisen, finanziert. Als Dresdner hat man ja ohnehin ein eher zwiespältiges Verhältnis zur Unesco. Es ist nicht besser geworden.

Darß

Der letzte Tag Rügen brachte uns auf eine Stippvisite nach Prora, wo das Meer sich launig und etwas wärmer zeigt. Mehr Spaß kann man beim Baden wirklich nicht haben. Dann ziehen Wolken auf, es grummelt, wir wollten eh weiter – und alle anderen scheinbar auch. Der Weg runter von der Insel ist ein einziger Stau, Regen prasselt auf das Autodach nieder und hört auf, als wir einen Stopp machen, um das wunderschöne Stralsund zu erkunden. Der Tag gleitet bei einem Aperol am Hafen mit Blick auf die Gorch Fock dem Abend entgegen.

Rostocker Tor in Ribnitz
Rostocker Tor in Ribnitz

Der nächste Morgen führt auf die Halbinsel Darß. Hier kann man im Künstlerdorf Ahrenshoop der Natur durch Besuch einer Galerie oder eines Museums eine Pause geben oder aber ein Abenteuer wagen und am Strand unterhalb der abbruchgefärdeten Steilküste entlang wandern. Steine, Krebse, Quallen, Muscheln säumen den Weg. Das Leben in der Natur bringt auch die Gewissheit, dass es jederzeit vorbei sein könnte. War es aber nicht, also gingen wir, nach wie vor auf dem Darß, in der Ostsee baden, die hier glasklar und wärmer als auf Rügen war. Man möchte gar nicht mehr weg. Bevor die letzten Hirnzellen von der Sonne weg gebrutzelt werden, aber noch etwas Kultur: Eine Galerie zeigt Arbeiten von Lyonel Feininger, der selbst gern Gast an der Ostsee war und diese zum Motiv machte. Darunter das Rostocker Tor in Ribnitz, das wir uns zum Tagesabschluss noch im Original anschauen. Wie es das Glück will, gibt es ein Restaurant mit Blick darauf (Weinfuzzi – sehr zu empfehlen!).

Usedom

Alles lief viel zu gut bisher. Und obwohl als letzte Station ursprünglich Brandenburg angedacht war, entschied man ob der Unwetterlage südlich noch die andere große Ostseeinsel zu erkunden – immer der Sonne nach!

Usedoms Verkehr ist der blanke Horror: Ein kleines Sträßchen muss tausende Touristen tragen, die sich dann an den von herrschaftlichen Häusern gesäumten Königsstränden drängen. Die Inselrundfahrt zeigt jede Menge touristisches Unterhaltungsprogramm für Leute, die vom Wasser gelangweilte Kinder haben (Zirkus, Dinos, Transformers). Nach Tagen der Zelterei liegen die Nerven inzwischen etwas blank. Auch, weil man sich kaum vorstellen kann, an diesen überfüllten Stränden sein Zelt aufschlagen zu können. Unterzuckert, unterhopft, übermüdet fährt man von Strand zu Strand. Dann am Meer zur Dämmerung während der Wind unsere von Mückenstichen übersäten Körper einsandet und der Strand sich leert und ein paar Kitesurfer Salti schlagen, entdeckt man doch noch ein Plätzchen mit weniger Wind und neuen Mücken. Ohne eine gewisse Stoik geht es nicht. Ein letzter Sonnenuntergang, es tobt das Meer, das hat so viel Schönes.

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