Als ich die Band Local Natives zum ersten Mal hörte, saß ich in der Bibliothek über meiner Magisterarbeit. Das Debüt Gorilla Manor lebte vom großäugigen Sturm und Drang der Jugend und dem dreiteiligen Falsetto-Gesang, der die Band bis heute auszeichnet. Ich schrieb damals über postmoderne Adoleszenzromane, Gorilla Manor, das ich seitdem eigentlich nicht mehr hören kann, war unter anderen mein Soundtrack, der mich durch schreibende Stunden begleitete. Die Adoleszenz ist heute vorbei – auch für Local Natives. Man ist im Leben angekommen, Mitte 30. Doch ist man jemals wirklich da? Das vierte Album der Band, Violet Street, erzählt in elf eingängigen Popsongs davon, dass man auch nach den vermeintlichen Meilensteinen des Lebens ein Reisender bleibt.
Violet Street’s erster Song “Vogue” zeigt den Menschen als Suchenden. Ohne Refrain und Drums tröpfelt der Song verträumt mit Akustikgitarre, Streicher und Piano aus den Lautsprechern: “I don’t know what I’m looking for/ What are they looking for?” Der sich in himmlische Höhen schwingende Gesang und die andächtige musikalische Gestaltung haben etwas sakrales, der Wunsch nach Verbindung – zu anderen Menschen oder einer spirituellen Kraft – klingt aus jeder Zeile. Während “Vogue” zwar einen thematisch gelungenen Einstieg in Violet Street bietet, gibt das Stück dem Ohr wenig, an dem es sich festhalten kann. Dass Melodien und tanzbare Indie-Pop-Songs noch immer das Steckenpferd der Kalifornier sind, beweist das folgende “When Am I Gonna Lose You”. Der Titel schreit Herzschmerz, beschreibt jedoch das Gefühl, dem eigenen Glück nicht trauen zu können. Wer kennt das nicht: Man findet den perfekten Moment und im Hinterkopf ist diese Stimme, die bereits an das Ende denkt und flüstert: “Das wird nicht halten”. Man muss dem eigenen Glück auch mal trauen können: “Could I finally see/ Between belief and faith”.
“Someday Now” nimmt die Angst, jemals anzukommen, auf andere Weise auf. Der Song spielt mit der Frage, wann das “richtige” Leben wirklich anfängt – wenngleich jeder Moment bereits das Leben ist. Während das lyrische Ich den Partner auf später vertröstet, während es seinen Karrierezielen nachjagt, stellt sich die Frage, ob das Paar jemals wirklich “ankommen” wird. Die Stärke dieses Albums ist es, diese komplexen Fragen des Erwachsenseins auf leichte, von kalifornischer Sonne beschienender Weise zu erzählen. “Someday Now” geht mit seinem Breakbeat nicht nur sofort ins Ohr, sondern auch in die Beine. Überall warten einnehmende Grooves auf den Hörer. So gestaltet sich “Megaton Mile” als beschwingter Tanz auf dem Vulkan. Während der Text ein apokalyptisches Szenario heraufbeschwört, klingt die Musik nach Sixties-Pop mit einer gehörigen Portion Earth Wind & Fire:
You said it was beautiful/ As much as it was terrifying
Überall auf Violet Street loten Local Natives zwischenmenschliche Beziehungen aus. Während in “Shy” Geschlechterrollen und Verlangen zu einem schwer zu navigierenden Minenfeld werden, erzählt “Gulf Shores” von der Bedeutung alter Freundschaften und der Angst diese zu verlieren. Dieser Song wartet dann auch mit einem Stadion-Moment auf, der etwas bange werden lässt, ob in dieser feinen Band nicht auch so etwas Coldplay schlummern könnte. Nach den ruhigen Strophen bricht sich im Chorus eine pompös zerrende Synthie-Melodie bahn, die tatsächlich einer stark verfremdeten Gitarre entspringt. Zweifelsfrei ein mitreißender, eingängiger Moment – doch diese wollen gut dosiert sein. Zum Glück gelingt Local Natives diese Balance. Anders als Coldplay verliert sich die Band nach 30 auf Violet Street nicht in überproduzierter Beliebigkeit: Auch wenn jedes ihrer vier Alben andere Ideen ins Spiel bringt, klingen sie immer dezidiert nach sich selbst: Das sind die schönen Gesang-Harmonien, die einem nicht mehr aus dem Kopf wollen und von kalifornischer Leichtigkeit beseelte, locker groovende Mid-Tempo-Songs, die irgendwo zwischen Soul, Funk und Indie-Rock oszillieren. Stark.