In der Normandie regnet es tote Vögel und in Paris interessiert es keinen: Abgesehen von Victor Pouchets Protagonisten in seinem Debütroman Warum die Vögel sterben. Der ziellos durch sein Leben driftende Promotionsstudent, der mit seinem Erschaffer zumindest den Nachnamen teilt, will dem unheimlichen Phänomen auf den Grund gehen. Da sich der Vogelregen in seiner Heimatstadt ereignete, fühlt er sich persönlich betroffen. Die Reise führt ihn in die eigene Kindheit.
Wir leben in einer chaotischen Welt, die uns gleichgültig gegenübersteht; – ein Gedanke, der schnell zu einer existentialistischen Krise führen kann, hält man sich zu lange an ihm auf. Der Mensch aber interpretiert seine Umwelt, sein Geist sucht das Chaos um sich herum zu ordnen, schreibt willkürlichen Geschehnissen eine Bedeutung zu, projiziert eigene Wünsche und Ängste auf die Umwelt. Victor Pouchets Erzähler in Warum die Vögel sterben macht genau diese Zuschreibungen. Die aus dem Himmel fallenden Tiere sieht er nicht nur als apokalyptisches Zeichen, sondern auch als Ereignis, das mit ihm verknüpft zu sein scheint. Die Vögel fallen in das Vakuum seines Seins: Die Doktorarbeit, für die er ein Stipendium hat, schreibt er nicht. Während seine Freunde ihr Leben beruflich wie privat in geregelte Bahnen lenken, treibt er “schwerelos dahin” (S. 19). Das unerklärliche Ereignis – man denkt irgendwie an Hitchcock – stürzt in diese Schwerelosigkeit hinein und lässt ihn aus seiner Lethargie ausbrechen.
Nichts fällt einfach so runter. Mir kommt es vor, als wären diese Vögel auf mich gestürzt, auf mein Dorf, meine Kindheit, vielleicht auch auf etwas ganz anderes. Auf uns. Auf unsere Absturzobsession (S. 17-18).
Sein Interesse an dem unheimlichen Phänomen ist zugleich eine Flucht vor der Leere seines Lebens und eine Reise zu sich. Sie führt ihn an Bord eines vornehmlich von Rentnern bevölkerten Reiseschiffes, das seine Gäste aus Paris die Seine entlang nach Rouen führt. Genau dort, entlang der Seine, sind die Vögel aus dem Himmel gestürzt. Dem Erzähler scheint es schlüssig, sich den Vorgängen über diesen Fluss, der ihn auch zurück in die Heimat seiner Kindheit führt, zu nähern – gleichzeitig ein Indiz, das er es nicht unbedingt eilig hat. Ein Ornithologe ist er übrigens nicht, – eine eher schlechte Voraussetzung dafür, das Geheimnis hinter den rätselhaften Ereignissen zu lüften.
Es sollte also nicht überraschen, dass Warum die Vögel sterben ein Roman über das Scheitern ist und darüber, in diesem Scheitern einen Wert zu finden. So scheitert der Erzähler nicht nur an seiner Doktorarbeit, die Trennung von seiner Exfreundin Anastasie liegt ihm ebenfalls auf der Seele. Noch schwerer wiegt jedoch seine zerbrochene Familie und das gestörte Verhältnis zu seinem Vater, der nach der Scheidung von der Mutter allein im heimatlichen Bonsecours unweit von Rouen zurückblieb. Der Vogelregen zieht ihn nur Vordergründig zurück nach Bonsecours und die Gleichgültigkeit, die die Menschen in den Augen des Erzählers gegenüber dieses düsteren Ereignisses zeigen, hallt zurück in die Beziehung zur eigenen Familie. Denn das Verhältnis zum Vater war in den Jahren seit der Scheidung ebenfalls von einer wortlosen Gleichgültigkeit geprägt.
Immer wieder schimmert dabei andeutungsweise ein übergeordneter Kontext durch. Gemächlich schippert der Vergnügungsdampfer vorbei an Zeichen Frankreichs großer Vergangenheit aneinandergereiht an Zeichen, die auf eine eher triste Gegenwart deuten. Entlang der Seine finden sich die Häuser von Émile Zola, Claude Monet und das Jeanne D’Arc Denkmal ebenso wie Atomkraftwerke und aus dem Himmel gestürzte Vögel. Zu diesen Wegmarken französischer (Kultur-)Geschichte finden sich in dem Text darüber hinaus Referenzen zur Kirche und zur Wissenschaft. Vor allem letztere nimmt im Verlauf des Textes einen immer größeren Stellenwert ein und zeigt auch an, was beim Erzähler und dessen Reifeprozess vielleicht im Argen liegt. Denn anstelle dem Phänomen der Vögel in der Welt zu begegnen, zieht er sich oftmals in sich selbst und in die naturwissenschaftlichen Bücher zurück, die er über ähnliche Phänomene zusammengetragen hat. Besonders Félix Archimède Pouchet muss dabei als eine Art Vaterfigur herhalten. Der ebenfalls aus Rouen stammende Naturwissenschhaftler war selbst hingebungsvoll mit seiner Theorie über spontan aus totem Material entstehendem Leben gescheitert.
Mit der Kindheit abschließen, Scheitern akzeptieren: Warum die Vögel sterben ist ein Coming of Age Roman über einen wahren Zauderer. “Mir lag das Leben auf der Zunge”, beschreibt sich der Mann treffend selbst (S. 117). Es ist ein eigenwilliger Text, der zwischen amüsanten Beobachtungen an Bord des Kreuzfahrtschiffes, Kindheitserinnerungen, Selbstreflexionen und ausgiebigen Zitaten aus alten naturwissenschaftlichen Texten mäandernd an einem vorbeiziehen kann, wenn man sich als Leser zu sehr auf die Lösung des Phänomens der plötzlich sterbenden Vögel konzentriert – ihn also zu wörtlich liest. Ähnlich des Erzählers sollte man sich den fallenden Vögeln metaphorisch nähern. Andernfalls hat Warum die Vögel sterben durchaus das Potenzial, zu einem frustrierenden Leseerlebnis zu werden: “Jetzt fällt uns der Himmel auf den Kopf, da kann man nicht viel machen” (S. 100).
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Warum die Vögel sterben wurde aus dem Französischen von Yvonne Eglinger übersetzt und ist beim Berlin Verlag erschienen.