Der Berliner Produzent und Berghain-DJ Efdemin ist für seinen feinfühligen, aber tanzbaren Techno bekannt, der nichts von der austeren Funktionalität einiger seiner Kollegen hat. Mit New Atlantis arbeitet er eine 400 Jahre alte Utopie von Francis Bacon musikalisch auf und lässt für Techno eher ungewöhnliche Klangquellen einfließen. Ein ambitioniertes Projekt, das selten verkopft und oft sehr hypnotisch klingt.
New Atlantis des britischen Philosophen Francis Bacon (1561-1626) ist nicht die einzige literarische Referenz, mit der Efdemin spielt: Das Eröffnungsstück “Oh, Lovely Appearance of Death” übernimmt eine bereits 1980 veröffentlichte Vertonung von Charles Weseleys 1780 entstandener Hymne “A Funeral Hymn for a Believer”. Das lyrische Ich betrachtet darin den Körper eines Verstorbenen und findet darin nicht nur Trauer, sondern auch Trost: “This heart is no longer the seat/ Of trouble and torturing pain”. Der andächtige A Capella-Gesang des Künstlers William T. Wiley wird mit schwummrigen Klängen und einem sonoren Brummen umspielt. Die Erneuerung des Geistes, die das lyrische Ich zum Ende empfindet, akzentuiert Efdemin mit emporflirrenden Akkorden.
Man muss das Alte hinter sich lassen, um Neuland zu finden. Und so beginnt Efdemin, ein musikalisches Narrativ zu spinnen, das den Hörer entlang Bacons utopischem Roman über “New Winds” nach “New Atlantis” weht, wo man vorerst “At The Stranger’s House” unterkommt und nach weiteren Erkundungen schließlich zum “The Sound House” gelangt. Letzteres ist ein Ort in Bacons Roman, der für Efdemins Musik hier eine zentrale Rolle spielt. Das Klanghaus ist eine Art Bibliothek und Labor der Töne, dessen prophetische Beschreibungen heutige Produktionstechniken antizipierte (auf dem letzten Track des Albums wird ausgiebig daraus zitiert und der Text wurde auf der Vinylhülle abgedruckt).
Efdemins New Atlantis bezieht sich auf dieses prophetische Werk anstelle eine eigene Prophezeiung zu sein. Es erfindet das Rad also nicht neu. Die sechs Stücke, die sich zwischen “Oh, Lovely Appearance of Death” und “The Sound House” befinden, sind überwiegend Techno. Das Genre erfährt also keine Neudefinition, vielmehr geht es darum, aus einem breiten Spektrum von Klängen zu schöpfen. Efdemin, der unter einem bürgerlichen Namen Phillip Sollmann avangardistische Soundexperimente veröffentlicht, verfügt selbst über ein enzyklopädisches Wissen über Klangquellen. Dieses Wissen führt er nun, glücklicherweise wohldosiert, seinen Technoproduktionen zu und greift dabei auf Instrumente zurück, die man gewöhnlich nicht mit Techno oder Popmusik assoziiert, wie Klanghölzer und Drehorgeln.
Der munter galoppierdende Bass von “New Winds” wird beispielsweise von hellen Glöckchen umspielt, Töne von Klanghölzern wehen durch den Track ebenso wie Vogelgezwitscher. Das 14 Minuten lange “New Atlantis” verwebt eine an Acid-Techno erinnernde Synthesizer-Melodie mit einer psychedelischen Klangplatte, die die Grenzen zwischen virtuell und händisch erzeugten Geräuschen verwischt. Synthesizer, Klanghölzer, Drehleiher und Gitarren werden zu einem stimmigen Ganzen verwebt, der Ursprung der einzelnen Töne ist dabei oft kaum noch auszumachen.
Auf der Down Tempo-Nummer “A Stranger’s House” sorgen Klanghölzer für einen wunderbar stolpernden Groove, lässig weht ein Saxophon durch den Song ebenso wie schwer zu bestimmende Saiteninstrumente. Gemessen an dem luftigen Konzept klingt New Atlantis erstaunlich zugänglich, obskure Geräuschquellen werden zu einem größtenteils warmen, seltsam vertrauten Klangteppich verwebt, in den man sich wunderbar für 50 Minuten fallen lassen kann.