Florida, Amerikas Sunshine State, ist ein prähistorischer Sumpf voll bissiger Amphibien, der im Prozess ist, trocken gelegt und domestiziert zu werden. Also ein perfektes Setting für eine unbestimmte Angst, die sich unterschwellig durch viele der elf Geschichten in Florida, dem zweiten Erzählband der in Gainesville lebenden Autorin Lauren Groff, schlängelt wie die zahllosen Kriechtiere, die diese hervorragenden Erzählungen bevölkern.
Die Angst vor Schlangen ist ja auch eine Angst vor dem Unbekannten: Lautlos und versteckt in hohem Gras bleiben sie dem unbedachten Auge verborgen, bis es eventuell schon zu spät ist. Die Schlange steht natürlich auch für die Verführung, den Verlust der Unschuld und die Verbannung des Menschen aus dem Garten Eden. Und wenn man die Erzählungen von Lauren Groff liest, sind sie in Florida wohl überall. Eine aus dem Norden zugezogene Frau schildert es in der Erzählung “Snake Stories” zumindest so:
Walk outside in Florida, and a snake will be watching you: snakes in mulch, snakes in scrub, snakes waiting from the lawn for you to leave the pool so they can drown themselves in it (204).
Die Schlange als verborgene Gefahr und Symbol für ein verloren gegangenes Paradies: Floridas Flora und Fauna spielt eine wichtige Rolle in diesen Erzählungen. Immer wieder oszillieren sie zwischen den ursprünglichen Sumpflandschaften und den weißen Vorstädten des Sunshine State. Natur und Mensch besuchen sich gegenseitig, mit oft dramatischen Effekten. Nicht selten geht es um Leben und Tod: In “Eyewall” zerlegt zum Beispiel ein Hurrikan alles in Schutt und Asche. Die alleinstehende Erzählerin blickt dem Ganzen stoisch entgegen – einer Evakuierung hat sie sich verweigert. Dafür trinkt sie den unbezahlbaren Wein ihres verstorbenen Exmannes, der, wie einige andere Männer ihres Lebens, auf einen Plausch hineinwehen. Nach der Katastrophe schließt der Text mit einem Bild der Erneuerung.
In “Dog Go Wolf” werden zwei Mädchen von ihrer zwielichtige Mutter auf einer unbewohnten Fischerinsel mitten im Atlantik zurückgelassen. Sie verwildern ähnlich wie der Hund, den sie dabei haben und sich nicht mehr einfangen lässt. In “The Midnight Zone” will eine vierköpfige Familie ein paar Tage in einer Waldhütte verbringen. Als der Mann kurzfristig zur Arbeit muss, wird es brenzlig. Die Mutter zieht sich bei einem Unfall (ausgerechnet im Haushalt) eine schwere Gehirnerschütterung zu. Nun muss sie mit ihren Söhnen in der Dunkelheit ausharren und vor allem wach bleiben – das nächste Dorf ist viele Meilen entfernt und ein Puma soll in der Nähe sein.
Lauren Groff erschafft diese Situation nicht nach und nach vor den Augen des Lesers, sie setzt ihn mit dem ersten Satz in eine bereits vollständig realisierte Welt ab. Jede dieser Geschichten ist in einer einfallsreichen, lustvollen Sprache erzählt, die es der Autorin erlaubt, nicht nur kurze Momente, sondern wie in “At the Round Earth’s Imagined Corners” auch ganze Lebensgeschichten in nicht einmal dreißig Seiten zu erzählen. In dieser Erzählung – die einzige mit einem männlichen Protagonisten – erzählt sie die Lebensgeschichte des einsamen Jungen Jude (sein Vater ein übellauniger Schlangenforscher ohne Sinn für Menschlichkeit) und gleichsam von der Transformation und dem drohenden Verlust einer einzigartigen, prähistorisch anmutenden Natur.
Nicht alle dieser Erzählungen spielen in Florida: Lauren Groff schickt ihre Erzähler (natürlich alle zumindest aus Florida). In “Salvador” berichtet eine sich um ihre verblassende Schönheit sorgende Frau von ihrem jährlichen Urlaub. Sie ist die jüngste von drei Töchtern und da sie unverheiratet blieb, wurde die Pflege der Mutter zu ihrer Aufgabe. Geflohen aus “Wildnis der Krankheit ihrer Mutter”, geht sie an exotischen Orten auf Männerjagd, um auszukosten, was von ihrer Jugend bleibt. Ihre innere Unruhe bringt sie letztlich in Gefahr, als sie plötzlich inmitten eines Tropensturms auf der Straße steht.
In “Salvador” und den meisten anderen Texten dieser Sammlung werden Menschen – oftmals in Zusammenhang mit der natürlichen Welt, die hier giftig, gefährlich und berauschend zugleich ist – mit ihrer Sterblichkeit und Verlustängsten konfrontiert. Doch dieses Bewusstsein über die Endlichkeit des Lebens ist an das Wohlbefinden anderer Menschen geknüpft: Sich erwachsen zu verhalten bedeutet, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen. In einer Welt voller Schlangen kann das eine durchaus angsteinflößende Einsicht sein.
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Lauren Groffs Florida ist bei Riverhead Books erschienen und wurde noch nicht ins Deutsche übersetzt.