Man stelle sich vor, man ist in Disneyland und die Achterbahn fährt nur einmal die Stunde. Etwas verdutzt war ich schon, als ich in Radebeul Ost aus der S-Bahn stieg und der zum Santa Fe Express umgetaufte Lößnitzdackel erst eine Stunde später zum Festgelände der Karl May Festtage fahren sollte. Gut, im wilden Westen um 1890 wartete man sicherlich auch lange auf den nächsten Zug, aber zu den Festtagen hätte die Taktung schon etwas großzügiger ausfallen dürfen. Und so macht man sich also etwas verblüfft mit dem Google Assistenten auf den Ohren zu Fuß auf den Weg. Vergnügen ist eben nicht immer ohne Entbehrungen zu haben.
Und natürlich auch nicht ohne Geld. Neben dem Versprechen grenzenloser Freiheit waren es ja auch in erster Linie finanzielle Aspekte, die die Westwärtsbewegungen in der neuen Welt vorantrieben. Nach einem dreißigminütigem Spaziergang gilt es am Festgelände dann erstmal, den Geldbeutel zu öffnen und neun Euro Eintritt zu bezahlen, auch wenn der Abschnitt der Lößnitzgrundstraße unterhalb der Gaststätte Grundmühle frei zugänglich ist. Dieser Bereich bietet außer den üblichen Begleiterscheinungen eines solchen Festes wenig: Buden, die abwechselnd Nippes, Getränke und Essen verkaufen links und rechts der Straße. Nur wird die Szenerie nicht von Schlagermusik (Stadtfest) oder Lautenmusik (Mittelalterfest), sondern von… Panflöten begleitet. Hauptsache Amerika!
Hinter dem offiziellen Einlass zeigen die Karl May Festtage ihre charmantere Seite: Der Anteil der Panflötenmusikanten, die man eher weniger mit Karl Mays Cowboy & Indianer Geschichten und eher mit Südamerika, bundesdeutschen Einkaufsmeilen und einer hervorragenden South Park Episode verbindet, reduziert sich stark. Dafür läuft man durch eine recht schöne Westernkulisse, die sich in das Grün des Lößnitzgrunds schmiegt und von jeder Menge Freizeitcowboys bevölkert wird. Ich kann mich nicht erinnern, außerhalb Nashvilles jemals so viele Cowboyhüte gesehen zu haben. Manch Kostümierung geht über die omnipräsenten Hüte sogar weit hinaus. Menschengucken zählt hier zweifelsfrei zu den Attraktionen. Das frühsommerliche Wetter lädt auch dazu ein, es sich mit einem Erfrischungsgetränk am Straßenrand behaglich zu machen.
Doch dafür allein will man natürlich noch keine neun Euro Wegezoll entrichtet haben. An fünf Stationen wird ein Programm zwischen Musik, Spiel, Geschichten und Artverwandtem aufgezogen. Die erste Anlaufstelle führte mich deshalb gleich wieder zurück vor das offizielle Festgelände (nennen wir es Außenposten): Oberhalb der Grundmühle überfallen Ganoven den Santa Fe Express. Schon eine viertel Stunde vorher versammeln sich Schaulustige entlang des Weges, bis die kleine Dampflok auf dem Rückweg gen Radebeul das Zeltcamp der Banditen passiert und mit einem Knall gestoppt wird. Die Inszenierung beläuft sich letztlich darauf, dass sich erwachsene Männer in Kostüm zehn Minuten gegenüberstehen und mit Spielzeuggewehren abballern. Die simple Choreografie fand ihren unfreiwilligen Höhepunkt in einem eher putzigen Moment, da ein zur Rettung herangeschlichener Soldat auf einen Banditen schoss, der sich aber schlicht nicht fallen lassen wollte – weil er ihn nicht bemerkte. Geknallt hat es ohnehin an jeder Ecke: Kaum ein Kind war an diesem Nachmittag ohne Pistole unterwegs. Kaufen konnte man die natürlich vor Ort.
Zurück auf dem Bezahl-Festgelände, sozusagen dem Premium-Bereich der Karl May Festtage Radebeul: Die kleine Feder am Ende des Festgeländes stand auf dem Plan. Dort drehte sich alles um die amerikanischen Ureinwohner. Auf dem Weg dorthin kam ich am schön gestalteten Fort Henry vorbei, wo neben einem hübschen kleinen Saloon Tierfelle, Geschnitztes und Geschmiedetes zu erwerben waren. In Little Tombstone gab es eine große Freilichtbühne, auf der es in erster Linie Country auf die Ohren gab. Man nimmt hier die Sache mit den Cowboys & Indianer durchaus ernst und das nicht nur musikalisch: Für die kleine Feder haben die Organisatoren extra echte amerikanische Ureinwohner der Oneida Indian Nation eingeflogen, die traditionelle Tänze aufführten. Also nix da mit Pierre Brice.
Am frühen Abend erschöpft sich das Programm auch schon wieder. Das Festgelände ist bereits 19 Uhr merklich ausgedünnt. Familien und Schaulustige überlassen dann den Cowboys das Feld. Es gibt wohl zwei Arten Besucher: Jene, für die es einfach das nächste Familienfest eines langen Sommers ist und jenen, die das Western-Ding das ganze Jahr über pflegen und die im Gegensatz zu mir nicht mit dem Zug, sondern mit dem eigenen Pferd anreisen, im Sternenreitercamp übernachten, den Reiterspielen beiwohnen und nachts am Lagerfeuer feiern. Eben ein bisschen Wild West Romantik in Deutschlands Osten.
Die Fahrt mit dem Santa Fe Express war übrigens im Eintrittsgeld inbegriffen. Wenigstens den Rückweg wollte ich damit bestreiten. Es ist auch wirklich schön, durch das charmante Radebeul mit dieser kleinen Dampflok zu tuckern. Dieses Mal sollte ich sie also nicht verpassen – sie kam dann auch mehr als fünf Minuten zu spät. So konnte ich die S-Bahn, die ich mir für die Rückfahrt rausgesucht hatte, wenigstens noch (ohne mich) abfahren sehen.
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