Der für zahlreiche Literaturpreise nominierte Debütroman What Belongs to You des Amerikaners Garth Greenwell erscheint in diesen Tagen beim Hanser Verlag unter dem Titel Was zu dir gehört. Darin erzählt Greenwell von einem namenlosen Ich-Erzähler, der in Sofia seiner schwierigen Kindheit und sich selbst zu entkommen versucht. Am Ende steht die Erkenntnis, dass man durch einen Ortswechsel nicht einfach zu einem Anderen wird und die äußere Reise oft in einer inneren Reise zu sich selbst mündet.
Im Zentrum des Romans steht eine verhängnisvolle Begegnung. Greenwells namenloser Ich-Erzähler, der als Dozent am American College of Sofia arbeitet, trifft in den unterirdischen Toilettenräumen des Nationalen Kulturpalasts auf den anfang 20-jährigen Mitko. Es ist keine zufällige Begegnung. Der Ort ist ein Treffpunkt für homosexuelle Männer, Mitko bietet dort seinen Körper an. Entgegen seiner Vorbehalte gegenüber bezahltem Sex ist der Erzähler von dem jungen Bulgaren gefangen – eine auf ausgetauschten “Gefallen” basierende Bindung stellt sich ein, die ihn zwei Jahre lang nicht loslassen soll:
ich fragte mich, wie es passieren konnte, dass ich einer jener Männer im Dunkeln geworden war, die darbringen, was man ihnen abverlangt, um zu erhalten, was man ihnen nicht aus freien Stücken gibt (40).
Auch wenn dem Erzähler bewusst ist, dass seine Beziehung zu Mitko auf materiellen Transaktionen fußt, siegt die Lust über seinen Verstand und die Scham, die einerseits die Art der Verbindung begleitet, gleichsam auf seine Sexualität als solche bezogen ist. Sie setzt der Verbindung aber auch nicht zu überwindende Grenzen vor: Eine Liebe, um die der Mantel der Scham gelegt wird, kann nicht warm halten. Und so ist der Erzähler zwiegespalten, fühlt sich als Geliebter und Gefangener zugleich, schwankt “zwischen Begierde und Distanz” (51).
Es ist ein Gefühl, das er nur zu gut kennt. Der Mittelteil des Romans beleuchtet die Kindheit und Jugend des Erzählers, der im mittleren Westen als Scheidungskind aufwuchs, “in den Jahren der schlimmsten Aids-Panik” (157). Der distanzierte Vater beschimpft ihn als “Schwuchtel” und schmeißt ihn raus. In ihm setzt sich ein Lebensgefühl von “ruheloser Einsamkeit” fest, das sein steter Begleiter wird (97). Es ist eine Zeit, in der Homosexualität in der Gesellschaft als Problem begleitet von traumatisierenden Erfahrungen verhandelt wird. Was zu dir gehört schließt in gewisser Weise an die Erzählungen dieser Zeit an, nachdem Filmemacher wie Andrew Haigh (Weekend, Looking) in jüngster Vergangenheit in ihren Werken diese “klassischen” Thematiken wie das Coming out hinter sich gelassen und zu einem “new normal” gefunden haben. Das mag aber auch daran liegen, dass Sofia nicht San Francisco ist und gleichgeschlechtliche Liebe weitestgehend im Verborgenen stattfindet.
Es ist vielleicht auch diese internalisierte Scham, die den Erzähler in die Toilettenräume des Nationalen Kulturpalasts führt. Die Verbindung, die sich daraus ergibt, kann den schwierigen Umständen der Begegnung nie entfliehen. Nie wird deutlich, wer von wem abhängig ist: Mitko braucht die “Gefallen” seiner “Freunde”. Gleichsam schreibt der Erzähler dem Bulgaren eine unwiderstehliche Anziehungskraft zu, der er trotz aller Skepsis nicht entkommt. Beiden Männern scheint mit fortschreitender Dauer des Verhältnissen nicht klar, ob es sich um eine Geschäftsbeziehung oder eine Art Freundschaft handelt, in der sich zumindest der Amerikaner dem jungen Bulgaren und dessen zusehends schlechter werdenden Verfassung gegenüber verantwortlich fühlt. Er kann ihm nichts abschlagen, liefert sich Mitko geradezu aus und bringt sich damit auch in körperliche Gefahr. Seine Spannung nimmt der Roman allerdings weniger aus der Frage, ob sich der Erzähler unversehrt aus diese unheilvollen Bindung lösen wird können als aus dem psychologischen Reifeprozess, den der Roman letztlich abbildet.
Seine Sogwirkung entfaltet die behutsam erzählte Geschichte sicherlich auch aus den autobiografischen Anknüpfungspunkten dieses Debüts. So bleibt nicht nur der Erzähler verdächtiger Weise ohne Namen, auch alle anderen Figuren mit Ausnahme Mitkos erscheinen nur unter dem Anfangsbuchstaben ihres Vornamens. Wie der Erzähler selbst unterrichtete auch Greenwell einige Jahre an dem American College of Sofia. Wenngleich Überlegungen über die vermeintliche Authentizität des Geschriebenen wenig zur Beurteilung der Qualität eines literarischen Werkes beizutragen haben (sollten), bleiben sie nicht ohne Wirkung. So verleihen sie dem Text nicht nur eine unbestreitbare Note von Authentizität, sondern erzeugen im Leser auch einen spekulativen Voyeurismus, der ihn stärker in den Text involviert und zu dessen Wirkung beiträgt. Selbiges gilt auch die rätselhaft bleibende Faszination, die der Erzähler für Mitko empfindet, dessen Geruch er beispielsweise als “nass und ungewaschen und von Alkohol durchtränkt” beschreibt (139). Wer ist dieser Mann jenseits seiner körperlichen Merkmale? Verbirgt sich hinter dessen Körper (jung, schlank, gut bestückt) und jugendlichem Charme mehr als ein wankelmütiger Gauner? “Wach endlich auf,” möchte man in manchen Momenten als Leser ins Buch rufen, das sich zum Ende hin leider etwas zu sehr streckt. Dass es vielleicht zwanzig Seiten zu lang geraten ist, trübt das Lesevergnügen jedoch nur leicht, denn Was zu dir gehört vollbringt genau jenes Kunststück, das gute Erzählliteratur auszeichnet: es nimmt den Leser mit in eine andere Welt und hallt noch nach, nachdem die letzte Seite gelesen ist.
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Was zu dir gehört erschien erstmalig unter dem Titel What Belongs to You 2016 bei Farrar, Straus and Giroux. Die deutsche Übersetzung von Daniel Schreiber ist ab sofort als Hardcover bei Hanser Berlin erhältlich.