Das Deutsche Hygiene-Museum ist das vielleicht lebendigste Museum Dresdens. Schließlich ist es auch das (Zusammen-)Leben selbst, das Thema seiner Ausstellungen ist. Während in den Kunsthallen des historischen Stadtkerns geflüstert wird und Abstand zu den Exponaten geboten ist, wird hier Alltagskultur zum Erlebnis gemacht. Es muss also nicht immer das Erhabene der Hochkultur sein, wenn erhellende Momente auch im Profanen zu finden sind. Und was könnte alltäglicher sein, als das menschliche Gesicht, dem die neue Ausstellung nachspürt?
Das Hygiene-Museum ist immer am besten, wenn es nicht nur Exponate präsentiert, sondern seine Besucher zum Teil der Ausstellung werden lässt. In dieser Hinsicht hat „Gesicht – Eine Spurensuche“ einiges zu bieten. Der erste Raum thematisiert das Gesicht als Gestalt. Wie erkennen wir ein Gesicht als männlich oder weiblich? Welche Anstrengungen unternehmen wir, unsere Gesichter zu optimieren, seine Gestalt an unser Inneres anzupassen? Während diese Fragen anhand einer Vielzahl von kulturhistorischen Exponaten und Fotoarbeiten bearbeitet wurden, wird das Durchschnittsgesicht ganz praktisch erfahrbar: Besucher können in einer Kabine ein Foto ihres Gesichts aufnehmen lassen. Dieses wird mit den Gesichtern anderer Besucher zusammengerechnet, das Ergebnis auf der Außenwand der Kabine in Echtzeit präsentiert.
Der nächste Raum widmet sich der menschlichen Mimik. Hier steht auch der größte Besuchermagnet der Ausstellung: Eine installierte Kamera „liest“ die Gesichter der Besucher, erkennt deren Emotion und schätzt ihr Alter – mit durchaus schmeichelhaften Ergebnissen.
Die digitale Gesichtserkennung ist eines der prominentesten Aspekte der Ausstellung und taucht im Rahmen der interaktiven Exponate auf. Im dritten Raum steht das Gesicht als Muster und Gegenstand der sich ausweitenden Videoüberwachung im Zentrum. Während der Mensch in willkürlichen, in der Natur vorkommenden Mustern Gesichter erkennt, zerlegt die moderne Gesichtserkennungssoftware Gesichter in Muster. Das funktioniert inzwischen schon recht gut: Die Gesichter der Besucher werden zu Beginn der Ausstellung unbemerkt eingefangen. Im dritten Raum findet sich eine weitere Kamera und erkennt den Besucher wieder – inklusive Geschlecht und Alter.
Die große Qualität des Deutschen Hygiene-Museums Dresden ist die Fähigkeit, Alltägliches auf zum Teil spielerische Weise neu zu erkunden. Dass wir anhand unserer Mimik oftmals schon mehr über uns verraten als durch Sprachakte, ist genauso wenig neu wie der Umstand, dass Menschen in unterschiedlichen Kulturen Methoden entwickelt haben, das Gesicht an gängige Schönheitsideale anzupassen. Die Leistung des Museums liegt vielmehr darin, das Bekannte neu ins Bewusstsein zu rücken, indem es andere Perspektiven offenlegt und damit dem Besucher neue Fragen an die Hand gibt, um das Alltägliche zu reflektieren. Damit trägt das Museum durchaus spielerisch auch zu aktuellen gesellschaftlichen Debatten bei, weitestgehend ohne zu ideologisieren. Das gilt besonders für das Thema der Gesichtserkennung im öffentlichen Raum. Aktuell läuft im Berliner Bahnhof Südkreuz dazu bekanntlich ein Pilotprojekt. Ob die Gesichtserkennung letztlich zu mehr Sicherheit oder zu einer Einschränkung unserer Rechte führt, wird sich noch zeigen. Dass diese Möglichkeiten sichtbar gemacht, hinterfragt und zum Gegenstand einer Debatte gemacht werden zeigt, wie wichtig ein Museum wie dieses in einer lebendigen Demokratie ist.
„Gesicht – Eine Spurensuche“ ist bis zum 25. Februar 2018 im Deutschen Hygiene-Museum Dresden zu sehen.