Literatur,  Prosa

Im Winter [Prosa]

Dresden Literatur Im WinterDu kannst alles haben, sagte sie unter ihrem Atem, über der Musik.
Ich fragte, ob sie ihre Zigarette mit mir teilt. Sie lachte schräg in den Raum, Rauch entwich unsortiert ihrem Mund. Das Stroboskop brach darin. Zwischen Daumen und Zeigefinger reichte sie mir ihre Zigarette, ich nahm einen tiefen Zug. Ich sagte, jetzt haben wir uns indirekt geküsst und sie lächelte: Du bist albern.

Das ist zu viel für mich, sagte ich, als sie den Rest der Gemüsepfanne über meinen noch nicht leeren Teller kippte. Du schaffst das schon, du willst doch nicht, dass es morgen regnet, oder? Ich lächelte: Du bist albern.

Am nächsten Morgen war der erste Schnee gefallen. Man sah ihn vom Bett aus auf den gegenüberliegenden Dächern liegen, obwohl das Fenster beschlagen war. Sie streckte sich, zog sich unter der Decke den Slip an, den ich neben das Bett geschmissen hatte, stand auf und lief zum Fenster. Bevor sie es öffnete, wischte sie mit ihrer Hand darüber: Jetzt ist es wie in Titanic. Über ihrer Schulter sah sie mich an, als würde sie fragen, ob ich für sie ertrinken würde.

Wir konnten uns nie darauf einigen, ob wir bei geöffnetem oder geschlossenem Fenster schlafen würden. Die Geräusche der Stadt, die Autos auf dem Kopfsteinpflaster, das lenkt sie vom Schlafen ab: Ich höre dich lieber atmen. Ich dachte kurz darüber nach. In der Zwischenzeit suchte sie auf ihrem Laptop nach einem Song. Dort, über der Kameralinse, klebte der Liebe. Freiheit. Alles.-Sticker, den viele haben. Auch ich habe die Webcam an meinem Laptop überklebt. Auch wenn es albern ist. Man kann nie wissen.

Und was, wenn wir hier ersticken?, fragte ich schließlich. Sie kroch zu mir ins Bett und lächelte: Du bist albern.

Ihre Arme und Beine kreisten im Wasser. Ihre Lippen waren schon blau. Es roch nach Chlor und Schneeflocken rieselten in das dampfende Wasser des Außenbeckens. Das Wasser stand mir bis zum Hals. Aber ich konnte noch stehen.

*

Dieser Text erschien zuerst im DRESDNER, Nr. 01/2015 (2014) sowie im Narr, Nr. 20 (2016).