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The Marvelous Mrs. Maisel [Kritik]

The Marvelous Mrs. Maisel Kritik
© Amazon

Amy Sherman-Palladino und Daniel Palladino schenkten der Welt einst die Erfolgsserie Gilmore Girls. Jetzt stehen beide bei Amazon für dessen Streaming-Dienst Prime Video unter Vertrag. Das Ergebnis der ersten Zusammenarbeit kann sich sehen lassen: The Marvelous Mrs. Maisel hat alle Zutaten, die Gilmore Girls schon zum Hit machten: Perfekt getimte, rasend schnelle, mit Wortwitz gespickte Dialoge und leicht schrullige, aber dennoch liebenswerte Charaktere.

New Yorks Upper West Side im Jahr 1958: Die 26-jährige Miriam „Midge“ Maisel (Rachel Brosnahan) führt ein perfektes Leben. Sie ist glücklich verheiratet, hat zwei Kinder und lebt in einem schönen großen Apartment. Ein Bilderbuchleben, jedes Detail sitzt: Wie viel Akribie und Hingabe das erfordert, zeigt eine der bestechendsten Szenen der ersten Folge. Sobald ihr Mann Joel (Michael Zegen) eingeschlafen ist, steht sie auf, geht ins Bad, schminkt sich ab, dreht sich Lockenwickler ein und trägt eine Gesichtsmaske auf. So legt sie sich zurück ins Bett, das Rollo des Schlafzimmerfensters lässt sie einen Spalt offen. Wenn ihr die ersten Sonnenstrahlen ins Gesicht scheinen, wird sie vor Joel wach, geht ins Bad, dreht die Lockenwickler aus, trägt die Maske ab, legt sich das Make-up für den Tag auf und parfümiert sich. Dann legt sie sich zurück zum schlafenden Mann, der Wecker klingelt, Joel erwacht und „weckt“ die sich schlafend stellende Midge. Die Inszenierung sitzt und wurde, wie sich späte zeigt, von der eigenen Mutter übernommen. Die Erwartungen an eine Frau in jener Gesellschaftsschicht sind klar definiert: Frauen waren in den 1950er Jahren in erster Linie hübsch und gefällig.

Dass Midge aber auch äußerst geistreich ist, zeigt bereits die erste Szene von The Marvelous Mrs. Maisel. Wir begegnen ihr vier Jahre vor der Haupthandlung der Serie, als sie den Toast zur eigenen Hochzeit spricht und dabei den Rabbi foppt. Der nimmt ihr das so übel, dass es vier Jahre braucht, um die Wogen zu glätten. In ihre Hochzeitsrede sind kleine Rückblenden eingeflochten, die die frechen aber auch etwas selbstbezogenen Charakterzüge von Midge zeigen. Man sieht wie sie mit ihren Kommilitoninnen Unfug treibt und wie sie sich in Joel verliebt. Ihr Studium der russischen Literatur ist eher ein Übergangsritus – später selbst zu arbeiten, war nie Teil des Lebensplans: Bildung gehörte einfach zum Gesamtpaket.

In den 1950er Jahren waren die Rollen eben noch klar verteilt: Der Mann bringt die Brötchen nach Hause, die Frau kümmert sich um das Heim. Die Welt war – zumindest für weiße Männer der Mittelschicht – noch in Ordnung. Doch gegen Ende des Jahrzehnts werden erste Risse in der Gesellschaft sichtbar, die 1960er Jahre sollten nicht nur die Geschlechterrollen nachhaltig aufmischen. An die Stelle von Konformität tritt im Zuge der Bürgerrechtsbewegung und der Hippies auch ein verstärkter Individualismus, und mit ihm, der Wunsch nach Selbstverwirklichung.

Ansätze davon werden auch in den Eheleuten sichtbar: Joel kann mit seinem Bürojob, der ihm durch seinen Vater vermittelt wurde, nur wenig anfangen. Er nimmt an Meetings teil, jongliert Zahlen und weiß am Ende nicht, was das alles bedeuten soll. Er träumt davon, ein großer Comedien wie Bob Hope zu werden. Jede Woche fahren die Eheleute also nach Downtown in den Kellerclub The Gaslight, wo Musiker, Poeten und Comedians auftreten. Auch Joel ist einer von ihnen. Die gut situierten Meisels fallen in diesem Milieu, in dem Beat-Poeten wie Allen Ginsberg als Vorbilder gelten, natürlich heraus – daran ändert auch der schwarze Rollkragen-Pullover nichts , den sich Joel als klischeebehaftete Kostümierung für seine Darbietungen überzieht. Ihm einen Platz am Mikrophon zu besorgen, ist freilich die Aufgabe seiner Gattin: Sie besticht die Booker des Etablissements mit selbst gekochten jüdischen Spezialitäten und ist dabei so liebreizend und gefällig, wie es eine 50er Jahre Bilderbuchfrau nur sein kann.

Doch die Glückseligkeit soll bald getrübt werden. Eine Schlüsselszene zeigt Midge beim Fernsehen. Dort läuft das Programm eines bekannten Komikers, doch die Kamera friert auf ihrem, vom TV kühl angeleuchteten Gesicht fest: Sie kennt die Witze bereits – von ihrem Mann. Entrüstet geht sie zu Joel: Sein Programm wurde geklaut! Der bremst sie aber aus: Seine Witze wurden nicht geklaut. Es ist umgekehrt, er hat sie sich geliehen – ein ganz normaler Vorgang bei aufstrebenden Comedians, wie er versichert. Er habe aber dem Programm seine eigene Note gegeben – ein langsameren und, wie Midge richtig diagnostiziert, langweiligeren Vortrag.

Ihr perfektes Leben hat einen Riss bekommen und wird beim nächsten Ausflug ins Gaslight völlig reißen. Joel versucht es auf Drängen seiner weitaus schlagfertigeren Frau mit einem eigenen Witz und scheitert kläglich. Joel fühlt sich gekränkt, der Traum als Komiker zu leben, entpuppt sich als Täuschung. Noch am selben Abend eröffnet er seiner Frau, dass das perfekte Leben auf der Upper West Side nicht mehr seine Sache ist, nie war und gesteht im selben Atemzug eine Affäre und erklärt die Ehe für beendet.

Für Midge ist das ein Schock und ein Erweckungserlebnis zugleich: Welch Drama es für eine jüdische Frau in New York ist, single zu sein, hat die Serie Die Nanny in den 1990er Jahren bereits auf köstliche Art vorgeführt und die Interaktionen zwischen Midge und ihren Eltern, die übrigens im selben Haus wohnen, erinnern im besten Sinne an diese Sitcom. Dennoch: Noch am selben Abend der Trennung besäuft sich Midge und kehrt zum Gaslight zurück und improvisiert ein Stand-up, bei dem dem Publikum die Spucke wegbleibt – weil es urkomisch und so anzüglich ist, dass sie von den Sittenwächtern prompt verhaftet wird.

Die verbleibenden sieben Folgen der ersten Staffel zeigen dann die ersten Gehversuche der talentierten Midge als Stand-up-Comedian, die dem selbst auferlegten Korsett als perfekt gestylte Hausmutter mehr und mehr entwächst und dabei mit dem Kopf immer wieder gegen Konventionen stößt. Neben den Dialogen und dem über ein hervorragendes Timing verfügenden Ensemble weiß vor allem die Inszenierung zu überzeugen. Amy Sherman-Palladino und Daniel Palladino wissen, wie man Orte filmisch zum Leben erweckt. War es bei Gilmore Girls noch die fiktionale Kleinstadt Stars Hollow, wird hier das New York der 1950er Jahre mit einer nostalgisch eingefärbten Leichtigkeit wieder lebendig. Besonders in den ersten Folgen ist das neben dem wunderschönen Soundtrack der Kameraarbeit zu verdanken. Wie ein teilnehmender Beobachter folgt sie den Protagonisten durch geschäftigen Räume, schaut dabei nach links und rechts, ohne die jeweilige Hauptfigur aus dem Auge zu verlieren und erschafft damit eine Welt, die glaubwürdig und verzaubert zu gleich ist.

Orientiert hat sich das Autorenpaar dabei an den Screwball-Komödien jener Zeit, die mit einer hohen Gag-Dichte und einer leichtfüßigen Inszenierung damals ein Massenpublikum begeisterten. Der Fokus der 45 bis 55 Minuten langen Episoden liegt wohltuender Weise auf den humorvollen Interaktionen zwischen einzelnen Figuren. Auch die tragischen Momente haben genug Wortwitz, um die Stimmung für den Zuschauer nicht zu vermiesen. So ist Midges Mutter wegen der ihrer Meinung zu großen Stirn ihrer Enkeltochter besorgt. Es ist ironisch, dass die sich jeden Tag mit einem Maßband selbst vermessende Midge findet, es sei nicht wichtig für ihr Glück. Wie ihre nie um einen dramatischen Spruch verlegene Mutter darauf antwortet, ist entlarvend und köstlich zugleich:

It’s easier to be happy when you’re pretty.

Ein weiteres Beispiel für diese perfekte Balance zwischen Tragik und Komik ist die Szene, in der Joel seine Frau verlässt. Erst stellt diese fest, dass er ihren Koffer packt und nicht seinen und dann wird ihr klar, dass der Rabbi am nächsten Tag zu Besuch kommt – nachdem dieser seit der Hochzeit und ihrer frechen Rede über vier Jahre nicht gut auf die Familie zu sprechen war. Ihr Kommentar ist ein Double Entendre gegenüber dem eben grandios gescheiterten Hobby-Komiker: Timing war nie deine Stärke! Das ist zum Glück kein Vorwurf, den man The Marvelous Mrs. Maisel machen kann – absolut empfehlenswert!

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The Marvelous Mrs. Maisel ist ab sofort via Amazon Prime Video in englischer Sprache verfügbar. Die deutsche Synchronfassung kommt am 26. Januar 2018.