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Der Künstler ist anwesend: Eine Liebe in New York von Tadeusz Dąbrowski

Eine Liebe in New York Tadeusz Dąbrowski Rezension InterpretationDie Gefühle zwischen zwei Menschen können so labyrinthartig wie die Straßen einer Großstadt sein: Eine Liebe in New York erzählt davon, wie sich ein Mann in seiner Begierde für eine Zufallsbekanntschaft verliert und den Ausgang nicht findet. Es ist ein klassisches Thema, das der polnische Dichter Tadeusz Dąbrowski in seinem Debütroman auf kluge und originelle Weise neu erzählt.

In Eine Liebe in New York ist Tadeusz Dąbrowski Autor, Erzähler und Held in einem. Er befindet sich in New York auf Lesereise, um seinen Gedichtband Schwarzes Quadrat auf schwarzem Grund (2010) zu vermarkten. In der Metro spricht ihn eine junge “Blondine mit [..] kitschigen Augen” (S. 19) auf den Gedichtband an, den er in Vorbereitung auf eine Lesung am Abend in den Händen hält. Er ist ausweichend, versucht sie im geschäftigen Transit der Großstadt zu verlieren, nur um sie doch zur abendlichen Lesung einzuladen.

Noch bevor sie zur Lesung erscheint, hat sie sich in seine Gedankenwelt eingefressen und wird darin eingeschlossen bleiben, lange nachdem er New York wieder verlassen hat. “Wer ist diese Tussi, dass ich von ihrer Meinung mein Selbstwertgefühl abhängig machen sollte?” (S. 17), fragt er sich als er – vielleicht auch ob der kulturellen Unterschiede zwischen Europäern und Amerikanern – das Verhalten der schönen Megan nicht so recht deuten kann.

Etwas zieht sie aneinander an, man verbringt leidenschaftlich verspulte Nächte miteinander, berührt und verfängt sich immer mehr. Es ist ein riskantes Spiel: Entgegen seiner Annahme ist die hübsche Megan mehr als ein typisches all american girl, unter der Oberfläche liegen noch weitere Schichten. Doch wie viele davon kann und will man davon kennenlernen, wenn der zeitliche Rahmen begrenzt ist und daheim in Polen eine Ehefrau auf den Dichter wartet?

Besonders zu Beginn des mit 133 Seiten kurzen Romans bleibt Tadeusz’ Interesse an Megan vage, wie eine fixe Idee, von der er nicht mehr ablassen kann. Megans unbestimmte Art als junge, moderne Frau im hippen Brooklyn ist beides, eine Herausforderung für sein Ego als Mann, der im Spiegel seine grauen Haare zählt und ein Gedankenspiel, ob man mehrere Leben oder verschiedene Rollen ausprobieren und wieder ablegen kann.

Eine Liebe in New York ist nur vordergründig eine Liebesgeschichte, in die Dąbrowski Gedanken zu Autorenschaft und Identität webt. Der postmoderne Text verweist immer wieder auf seine Konstruktion und springt gelegentlich abrupt zwischen der Gegenwart der Handlung und des Schreibens. Das Schreiben schafft hier einen Ort, der es dem Autor ermöglicht, Vergangenes erneut zu erleben und Antworten auf offene Fragen zu finden und neu zu beleuchten: “der Lebenslauf beruht darauf, dass du das Gleiche jeden Tag anders beschreiben kannst” (S. 32), “Du schreibst und verwischt Geschichte” (S. 33).

Eine Liebe in New York beschäftigt sich also auch mit der Frage, inwiefern man der Autor oder Regisseur seines eigenen Lebens sein kann. Der Roman ist durchflochten mit Referenzen nicht nur an das eigene literarische Schaffen, aus dem mehrmals zitiert wird, sondern auch zu Film, Theater und Performancekunst (Tadeusz besucht beispielsweise Marina Abramovics The Artist Is Present). Tadeusz‘ Verhalten auf Handlungsebene gleicht sich somit der Praxis des (autobiografischen) Schreibens. Sein Aufenthalt in New York und das Schreiben selbst bieten die Bühne, “eine Weile jemand anderes zu sein ohne aufzuhören, ich selbst zu sein” (S. 90). Doch wie will man entscheiden, was authentisch und was Spiel ist? So wie er als Autor Tadeusz und Megan als Protagonisten seiner Erzählung erschafft und inszeniert, so inszeniert sich Tadeusz auf Handlungsebene bei seinem Eroberungsversuch mal als gönnerhafter Dandy, der Geld ausgibt, das er gar nicht hat und mal als polnischer Proll. Geht es ihm um die andere Person oder dient sie nur als Objekt zur Bestätigung seines Selbst wenn er ihr, eine Nach vor Abreise, die Bitte abringen will, zu bleiben? Und inwiefern ist dieses Werben selbst schon durch Konventionen vorgeschrieben? 

Du kamst, trafst und gabst vor, dich verliebt zu haben, oder vielleicht warst du’s auch, denn wenn du liebst, spielst du auch immer ein bisschen das Lieben, das ungewollt am Stamm der großen Liebe wuchert, von dem die Rinde abgeht (S. 83).

Eine Liebe in New York ist ein faszinierender Text, der es schafft, aufgrund der vortrefflichen Bilder, die der Autor auf jeder Seite findet, sowohl unterhaltsam als auch tiefgründig zu sein und dabei interessante Fragen zur Performanz menschlicher Identitäten zu stellen. Man kann sich gar nicht entscheiden, ob die schönen Formulierungen wie “ihre Finger streckten sich nach meiner Hand aus wie Keimlinge in einem Naturfilm im Zeitraffer” (S. 34) oder die kluge Struktur des Textes das wahre Highlight sind.

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Eine Liebe in New York (Originaltitel: Bezbronna kreska) ist bei Schöffling & Co. erschienen.