Allgemein,  Kritik,  Literatur

Lebwohl, betrunkener Geist: Jack von Anthony McCarten

Jack Anthony McCarten

Hommage oder Abgesang? Weder noch: Anthony McCartens neuer Roman Jack ist ein Verwirrspiel um Identität geworden, bei dem der Neuseeländer den literarischen Wegbereiter der Hippies in seinen wenig glorreichen letzten Tagen beleuchtet. Gekonnt verwischt er dabei wahre Begebenheiten mit Dichtung – wie einst Jack Kerouac.

1968: Die liberale Kulturrevolution ist in vollem Gange. Eine ganze Generation junger Leute geht auf die Straße und will sich der engen Fesseln des Spießbürgertums entledigen, demonstriert für Frieden, Bürgerrechte und eine neue Sexualmoral. Und ausgerechnet Jack Kerouac, der mit Unterwegs so etwas wie die Bibel der Hippiebewegung geschrieben hat, sitzt betrunken im Wohnzimmer seiner katholischen Mutter und will von alledem nichts wissen.

Die Hauptakteure der Beat Generation, also jener Gruppe von Dichtern, die als geistige Väter der späteren Hippies gelten, formierte sich bereits Mitte der 1940er Jahre am Campus der Columbia University. Während Vertreter wie Allen Ginsberg und William Burroughs der späteren Counterculture verbunden bleiben sollten, hatte sich Kerouac in den 1960er Jahren weitestgehend zurückgezogen und nicht viel für die Hippies übrig.

In den 1940er und 1950er Jahren bildete die Gruppe um das Dreigestirn Kerouac, Ginsberg und Burroughs noch die Antithese zu den Wertevorstellungen der Nachkriegszeit. Sie hörten Jazz, experimentierten mit Drogen und ihrer Sexualität. Sie hatten den Blick nach vorn gerichtet, waren hungrig auf neue Erfahrungen. Maßgeblich dabei war Neal Cassady, ein attraktiver, aus ärmlichen Verhältnissen stammender Kleinkrimineller, der sich in den 1940er Jahren am New Yorker Times Square rumtrieb.

Dessen impulsive Art zu sprechen, seine lockere Sexualmoral und seine unbändige Lebenslust wurden zum Katalysator der literarischen Bewegung. Es war auch Neal Cassady, mit dem Kerouac Ende der 1940er Jahre seine berüchtigten Roadtrips durch die USA machte und die er in seinem Roman Unterwegs (Original On the Road) festhielt. Als Romanfigur Dean Moriarty, der wie ein getriebener über die Highways des Landes brettert, wurde er zur Inspirationsquelle für die folgenden Jugendbewegungen, eine unsterbliche Ikone. Cassady war selbst nicht als Schriftsteller tätig, lebte bis zu seinem frühen Tod ein rastloses Leben “on the road”, ohne finanziell von den Geschichten profitiert zu haben, deren Teil er war. Es ist auch diese Freundschaft und das Benutzen von Cassadys Identität, die Jack – ein fiktionaler Text – unter anderen thematisiert.

Als 1968 schließlich Gerüchte die Runde machen, dass es mit Jack Kerouac zu Ende geht und er seinem Versprechen, sich ins Grab saufen zu wollen, bereits sehr nahe gekommen sei, macht sich Jan Weintraub auf die Suche nach der Beat Legende, um die erste autorisierte Biografie über ihn zu schreiben. Ein zentraler Aspekt soll dabei die Freundschaft zwischen Kerouac und Cassady sein. Kerouac – so die These der jungen Studentin aus Berkeley – schlüpfte ohne Rücksicht auf Verluste wieder und wieder in andere Rollen:

Footballer, Junkie, Hobbybuddhist, frommer katholischer Messdiener, Grobian, Säufer, Mutterssöhnchen, Berühmtheit, attraktives Postermotiv, aufgeschwemmtes Wrack (38).

Ganz besonders interessiert sie dabei, welchen Effekt dieses Verhalten auf Cassady hatte. Denn aufgrund seiner stark autobiografischen Texte wurden Freunde und Familie zwangsläufig zu Charakteren in seinen Büchern. So wurde Neal Cassady als Dean Moriarty in Unterwegs zu einer Ikone, an deren Bild dieser letztlich zerbrach. Die Erzählern ist überzeugt, dass Unterwegs Cassady zur Zielscheibe der Drogenfahnder machte und die Bewunderung der Hippies diesen Messias der Highways dazu verdammte, für immer auf Achse zu sein und den nächsten Kick zu suchen:

Was für eine Geschichte, dachte ich, was für eine Parabel darüber, wie gefährlich es für eine reale Person ist, ihrem literarischen Alter ego nachzueifern (21).

Während Cassady in dieser Lesart von der Revolution, die er mit zur Welt brachte, geradezu aufgefressen wurde, ging Kerouac auf Distanz. “Goodbye, drunken ghost”, waren dann wohl auch die letzten Worte, die Ginsberg je zu Kerouac sprach. Der erste Teil des Romans schildert den Versuch der fiktionalen Figur Jan Weintraub, sich in das Leben des fiktionalisierten historischen Person Jack Kerouac zu schleichen. Diese ersten hundert Seiten sind einerseits eine Nacherzählung der oft romantisierten Beat Geschichte, andererseits eine Entzauberung, die sich zwangsläufig einstellen muss, wenn Bewunderer auf ihre Idole treffen.

Die Entzauberung der Beat Generation oder Jack Kerouacs ist letztlich nicht das zentrale Anliegen des Romans. Vielmehr rückt McCarten im zweiten und dritten Teil der 250 Seiten langen und rasant geschriebenen Erzählung das Spiel mit Identitäten in den Mittelpunkt. Denn ganz wie ihr Vorbild Jack Kerouac spielt auch Jan Weintraub mit ihrer Identität. Sie ist eine äußerst unzuverlässige Erzählerin und genau diese Unzuverlässigkeit ist es dann auch, die die Erzählung zu mehr als einer Beat-Hommage macht. Gleichfalls dürfte der Text natürlich in erster Linie das Interesse von Fans der Beat Generation auf sich ziehen. In dieser Hinsicht ist Jack auch gut recherchiert, obwohl McCarten hier natürlich mit keinen neuen Erkenntnissen über die bestens erforschte Gruppe aufwarten kann. Vielmehr bedient er sich einer historischen Person – so wie Kerouac es ja auch getan hat – um das Spiel mit Identitäten seiner jungen Erzählerin zu inszenieren und die Frage zu stellen, ob es so etwas wie die eine feste Identität überhaupt gibt oder wir uns je nach aktuellen Anforderungen einfach immer wieder eine neue zusammenfantasieren (wobei man anmerken muss, dass dem Autor die Begrifflichkeiten Identität und Rolle etwas durcheinander geraten). In der Erzählerin – so viel sei verraten – wohnen jedenfalls verschiedene Identitäten und sie passt sich jeweils dem Bild an, das sie von sich für andere erzeugt. Damit geht ihr nicht nur Kerouac, sondern auch der Leser auf den Leim. Aus diesem Verwirrspiel ergeben sich spannende, wenn auch nicht immer unvorhersehbare Wendungen, die den Roman zu einer unterhaltsamen Lektüre machen.

*

Jack erschien im englischen Original als American Letters. Die deutsche Ausgabe ist als Hardcover bei Diogenes erhältlich.

Dieser Blog ist frei von Werbung und Trackern. Wenn dir das und der Inhalt gefallen, kannst du mir hier gern einen Kaffee spendieren: Kaffee ausgeben.