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Shackleton – Behind the Glass (with Anika) [Kritik]

shackleton behind the glassShackleton musiziert in seinem ganz eigenen Kosmos, in dem komplexe Percussions, tiefe Bässe, verzerrte Geräusche und Vocals düster-berauschende Klangwelten erschaffen. Konnte man das frühe Schaffen während der Nuller Jahre noch unter dem Genre Dubstep einordnen, haben sich seine Produktionen mit zunehmender Komplexität jeder Zuordnung zusehends entzogen. Das mit der Sängerin und Journalistin Anika entstandene Album Behind the Glass geht diesen Weg konsequent weiter.

Wie auch die jüngsten Kollaborationen mit den Vokalisten Ernesto Tomasini (Devotional Songs) und Vengeance Tenfold (Sferic Ghost Transmit) ist Behind the Glass ein schwer zugängliches Werk, das sich erst nach mehrmaligem Hören erschließt. Beim ersten Durchlauf hat die Hinzunahme von Anika, die vor einigen Jahren bei dem renommierten Stones Throw Records Label ein dubgetränktes Debüt veröffentlichte, keinen merklichen Einfluss. Vordergründig dominieren afrikanisch oder orientalisch inspirierte Percussions, die von schwer zuzuordnen Geräuschen umspült werden und somit vertraut und fremd zugleich – irgendwie entrückt – wirken. Die wuchtigen Bässe aus früheren Zeiten spielen hingegen keine große Rolle mehr, womit Behind the Glass im Klang stark an die Solo-EP Freezing Opening Thawing (2014) erinnert, dessen Titel-Track ein 11 Minuten dauernder psychedelischer Trip ineinandergewirbelter, hoher percussiver Elemente und stark bearbeiteter Vocal-Samples ist und eine Weiterentwicklung von früheren Low-End-Monstern wie „Hypno Angel“ markierte. Auf Behind the Glass sind nun vier Track zu hören, von denen keiner weniger als 14 Minuten lang ist. Es sind mäandernde Klanglabyrinthe, gemacht, um sich darin zu verlieren.

„Klassische“ Pop-Strukturen aus Strophe und Refrain interessieren Shackleton also so wenig Loops. Er schielt nicht auf die Tanzfläche, auch wenn den Produktionen ein ordentliches Soundsystem sicherlich gut stehen würde. Die Bewegung, die von der Musik ausgeht, führt nach innen. Behind the Glass klingt, als hätte Lars von Trier einen Predator-trifft-Blade-Runner-Film gedreht und Shackleton den Soundtrack dazu geliefert. Gespenstische Chöre spuken im Hintergrund, im Vordergrund schwirren teils schwindelerregende, tribalsitische Percussions und Anikas schwermütig-entrückter Gesang. Verzerrt hissende, zischende und teils dröhnende Soundeffekte durchtränken immer wieder den Mix und schaffen dabei auch teils atonale Momente. Beim ersten Hören findet das Ohr kaum Melodien, an die es sich halten kann.

Dass man sich nicht so schnell in die durchaus vorhandenen Melodien einfinden kann, liegt auch am schwermütigen Vortrag Anikas, der sich damit perfekt in Shackletons Klanglandschaften einfügt. Die Menschen, die ihre Texte bevölkern, sind getrieben, fühlen sich leer, vergehen vor Sehnsucht oder sind befallen und versklavt. Nach dem ersten Durchlauf von Behind the Glass kann man sich daher durchaus etwas erschlagen fühlen.

Am besten gelingt der Einstieg über „Hinter der Vitrine“, mit knapp 14 Minuten der kürzeste Song der Sammlung. Er schlägt weniger Haken als die anderen drei Beiträge, zieht einen konsistenten Spannungsbogen auf. Der Aufbau ist vergleichsweise klassisch, Strophen wechseln sich mit einer stetig wiederkehrenden Hook ab. In den ersten Minuten wird mit Synthesizern und entrückten Chören eine unheimliche Atmosphäre heraufbeschwört, bis sich rhythmische Trommeln in den Vordergrund schieben und Anika beginnt, von einem hinter einer beleuchteten Vitrine gefangenen, lebendigen Mannequin zu singen, das von seinem Herren gezwungen wird, seine Betrachter zu unterhalten. Die Welt in diesen Songs ist herzlos, kalt, korrupt und ohne Hoffnung.

Manchmal vermisst man die schiere Wucht einer Produktion wie „Massacre„, die Shackletons Musik auch zu einem körperlichen Erlebnis macht. Die Produktionen seit der EP Freezing Opening Thawing stellen zusehendes percussative Elemente in den Vordergrund, deren ineinanderwirbeln durchaus einen berauschenden Effekt haben können. Die Verlagerung vom körperlichen Effekt hin zu Zuständen der Trance erschwert den Einstieg in diese Musik, die anfangs etwas zu sperrig wirkt. Aber letztlich ist das auch die Kraft des Rituals – ist man ihm lange genug ausgesetzt, klicken die einzelnen Elemente ineinander, vereinnahmen und verändern die Wahrnehmung. Behind the Glass ist Musik für Geduldige, die ein gespenstisches Abenteuer erleben wollen, ohne das Wohnzimmer zu verlassen.

Tracklist:

1. Endless Memento / Regression / Wading Through The Underworld
2. The Future Is Hurt / Dirt And Fields
3. Hinter Der Vitrine
4. Our Sharpened Blade / Rid Yourself Of The Parasites / Endless Longing