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Wenn das Herz flippert: Hischmanns Das Umgehen der Orte [Kritik]

Fabian Hischmann Das Umgehen der OrteIch traf Fabian Hischmann, als wir am gleichen Literaturwettbewerb teilnahmen, dem Poetbewegt 2011. Nachdem die Preise verteilt und wir jeweils leer ausgegangen waren, beglückwünschte ich ihn bei einer Enttäuschungszigarette zu seinem gelungenen Text. Seitdem habe ich ihn nie wieder gesehen. In der Zwischenzeit hat er ein für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiertes Debüt veröffentlicht und war Teil einer hitzigen Literaturdebatte. Jetzt liegt der zweite Roman vor.

Die Loslösung von der Kindheit ist ein zentrales Thema in Fabian Hischmanns Texten: Schon die kurze Erzählung „Taxi Driver“, mit der er sich damals um den Poetbewegt-Preis bewarb, drehte sich um die traumatische Auflösung einer Kindheitsidylle und um zwei Jugendfreunde, die dabei sind, sich aus den Augen zu verlieren. Im Debüt Am Ende schmeißen wir mit Gold (2014) tat sich sein Protagonist Max mit dem Ankommen in der Erwachsenenwelt schwer. Die unbeschwerte Jugend mündet plötzlich in einem Dasein als Lehrer: Zum Feierabend laufen Tierdokumentationen, es wird lustlos onaniert. Max tritt eine Reise in die alte Heimat an, eine Bewegung zurück, die der inneren Bewegungslosigkeit entgegenwirken soll.

Auch Das Umgehen der Orte, der zweite Roman, rückt ein Kindheitsidyll auf den ersten Seiten in den Fokus. Das erste Kapitel reiht unter der Überschrift „Festung“ Impressionen ungetrübter Jugend aneinander. Es werden Buden gebaut:

Wir schlecken Paprikapulver von Kartoffelchips. Wir gurgeln mit Limonade. Wir hissen einen Kissenbezug. Wir nennen uns Bande. Wir ahnen noch nichts.

Von da an springt der Roman in der Zeit und von Protagonist zu Protagonist. Es ist ein Episodenroman geworden, der durch Querverweise, Begegnungen und Leitsätze zusammengehalten wird. So wirkt der Text in seiner Struktur auf dem ersten Blick ähnlich orientierungslos, wie die Vielzahl von Charakteren, die die 200 Seiten starke Erzählung bevölkern und dabei oft wirken, als würden sie lieber weiter mit Limonade gurgeln als sich dem Erwachsenenleben zu stellen.
Hischmann selbst mangelt es jedoch nicht an Orientierung. Ziemlich trittsicher folgt er seinen literarischen Vorbildern, allen voran Bret Easton Ellis, den er in der Danksagung seines Debüts erwähnte (Gus Van Sant tauchte dort ebenfalls auf – wie im aktuellen Roman): Auch Ellis ließ auf sein Debüt Less Than Zero (1985) einen vielstimmig erzählten Coming-of-Age-Roman folgen. Der Protagonist des Erstlings, Clay, hatte einen kleinen Gastauftritt im The Rules of Attraction (1987). Auch Max aus Am Ende schmeißen wir mit Gold taucht erneut in Das Umgehen der Orte auf.

Die Ähnlichkeiten hören damit nicht auf. Hischmanns Schreibstil erinnert neben Ellis an den von Joan Didion oder Douglas Coupland: Kurze Hauptsätze, ein fast schon elliptischer Erzählstil, der weniger an Plot denn an Stimmung interessiert ist. So versucht Hischmann Eigenschaften der englischen Sprache in seine Prosa zu übertragen, wie der Verwendung von Substantiven als Verben. Was im Englischen dynamisch wirkt, kann das lesende Auge im Deutschen schon mal zum Stolpern bringen, zum Beispiel wenn der Husten einer krebskranken Frau durch den Flur „echot“ (S. 136). In solchen Momenten schimmert der Autor, der sich beim Formulieren Mühe gibt, etwas zu stark durch den Text und trübt das, was Hischmanns große Stärke ist: Mit kurzen, schönen Sätzen Momente, Situationen und Figuren einfangen. Eine so originelle Beschreibung für das Sich-Verlieben wie „Mein Herz flipperte“ (S. 99) liest man schließlich selten.

Die Sprache und das Talent, Stimmungen damit heraufzubeschwören sind was Das Umgehen der Orte lesenswert machen. Ähnlich wie die literarischen Vorbilder hat auch Hischmann kein großes Interesse an einem Plot, der den Leser hastig von Seite zu Seite schickt. Dementsprechend ist es auch schwer, die Handlung des Romans zusammenzufassen.

In den vielen, zumeist recht kurzen Kapiteln wechseln sich mehr als eine Handvoll Charaktere über einen Zeitraum von mehreren Jahren ab. Es sind Fragmente aus verschiedenen Leben, die zusammenaddiert vom Erwachsenwerden oder dem Leben an sich in unserer Zeit erzählen sollen. Nach dem bildreichen Einstieg „Festung“ (siehe oben) beginnt der Text mit Lisa, der es immer zu warm ist und die seit dem Tod des Vaters (er starb an autoerotischer Asphyxiation) an starkem Übergewicht leidet. Sie verliebt sich in die rebellische, aus gutem Hause kommende Anne, die sich wiederum in Magnus verliebt. Magnus begegnet dem Leser in einem späteren Kapitel erneut, als er mit zwei Freunden an einem Schreibwettbewerb teilnimmt. Einer dieser beiden Freunde ist Dylan, dessen Bruder Tim seine erste Fotoausstellung vorbereitet. Der andere ist Samuel, dem ein Bestseller gelingt, den jeder der Protagonisten irgendwann in den Händen hält. Und so springt der Roman durch die Zeit von einem Protagonisten zum nächsten. Auch Anne und Lisa tauchen am Ende – erwachsen und unter anderen Vorzeichen – wieder auf. Das hält den Leser auf Trab, er muss sich immer wieder auf neue Figuren einstellen. Mit manchen hätte man gerne etwas mehr Zeit verbracht.

Unter ihnen sind oft Menschen, die sich in Posen gefallen. Die rebellische Anne stellt Hischmann mit zwei Sätzen bloß. Als diese behauptet, Besitz sei ihr egal, lässt er Lisa denken, dass man sich diese Einstellung nur leisten könne, „wenn man nie nichts besessen hat“ (S. 22). Auch Hannes gehört dazu, ein junger Filmemacher, der nach Portland reist, um sein Idol Gus Van Sant zu treffen – wahrscheinlich damit er ihm bei der Realisierung seines aktuellen Filmprojektes hilft. Der Betreuer an der Filmhochschule ist von Hannes‘ Idee, einen Film übers Erwachsenwerden zu drehen, alles andere als begeistert. Davon gibt es es nämlich schon zu viele.

Damit nimmt Hischmann sich natürlich ein bisschen selbst auf den Arm. Denn er arbeitet sich mit Das Umgehen der Orte ja zum wiederholten Male an genau diesem Thema ab. Dabei kreist er in seinem Roman um die Themen Desillusionierung und Konfrontation: Der Vater stirbt an einer gefährlichen Masturbationspraktik, Eltern lassen sich scheiden weil der Vater die Frau betrügt, die erste Liebe entscheidet sich für jemand anderes, der angehende Schriftsteller wird zum Bestseller-Autor, nachdem er tragisch stirbt, ein angehender Filmemacher bekommt sein Projekt nicht realisiert, weil andere das Thema schon bearbeitet haben. Dieser Aspekt der Entzauberung und des im Moment oft sinnlosen Geschehens taucht in dem Leitsatz „man gewöhnt sich an alles“ auf: Die Aufregung der Jugend geht in Alltag und First-World-Problems über, Enttäuschungen reihen sich aneinander – man nimmt es zur Kenntnis und lebt weiter vor sich hin.

Diesem Umgehen steht die Konfrontation gegenüber, die ebenso leitmotivisch immer wieder auftaucht und zum Schlüssel der Selbsterkenntnis wird. Sie ist es auch, durch die Lisa am Ende des Roman zu ihrem Ort des Glücks und einem Leben als erwachse Person findet, ohne die Kindheit nostalgisch zu verklären.

Wenn man es schlecht mit Fabian Hischmann meint – einige Kritiker haben das – kann man einen Roman wie Das Umgehen der Orte schnell als belanglose Befindlichkeitsprosa abtun, in der wenig passiert und die Figuren an First World Problems kranken. Wem aber klar ist, dass eigentlich jede Geschichte schon erzählt ist und nur das wie entscheidend ist, dem steht ein Roman vieler kleiner Schätze offen. Was außer Frage steht: Der Kerl kann schreiben. Was zu hoffen ist: Dass er sich aus den Fußstapfen der Vorbilder löst. Denn Vorhersagbarkeit wäre dann tatsächlich etwas belanglos.

Bei der besprochenen Ausgabe handelt es sich um die in diesem Jahr im Berlin Verlag erschienene erste Auflage (Hardcover).