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Verdrehte Köpfe: Trennungen, Verbrennungen von Helmut Krausser

Trennungen, VerbrennungenZwischen Wannsee und Plattenbau hat Helmut Krausser mit Trennungen, Verbrennungen ein äußerst amüsantes Kaleidoskop des Berliner Lebens geschrieben. Menschen begegnen und verlieren, belügen und betrügen sich. Und während sie durch scheiternde Beziehungen stolpern, verirren sie sich auch in einer verunsicherten Gesellschaft, in der tradierte Normen zunehmend aufweichen,- ohne, dass man ihnen vollends entkommen kann.

Das Leben ist voller Enttäuschungen und spart selten an Schmerz. In Trennungen, Verbrennungen begegnet die ältere Generation diesem Umstand mit einer gewissen Stoik. Die Kindergeneration wünscht sich lieber das Leben in einem Safe Space. Dreh- und Angelpunkt des Romans ist die wohl situierte Familie Reitlinger. Sie residiert in einer Villa im noblen Wannsee und hält – wie altmodisch – Soirees, in denen sich das Bildungsbürgertum trifft und bei teurem Wein schöne Gedanken macht. Der schöne Schein trügt natürlich: Familie Reitlinger hat einen verlorenen Sohn, der den Kontakt vor drei Jahren abbrach. Die noch im Haus lebende Tochter Alischa ist den Eltern auch alles andere als wohlgesonnen: Sie vertritt in bester, stumpfer Twitter-Empörungs-Manier linke Positionen und lehnt folglich alles ab, wofür ihre Eltern stehen. Im schicken Haus am Wannsee lebt sie natürlich trotzdem gern.

Zu der Familie Reitlinger gesellt sich noch ein weiteres Sammelsurium an Charakteren, die Krausser abwechselnd begleitet. Da sind Professor Reitlingers zwei Doktoranden, die nicht nur um ihre berufliche Zukunft bangen, sondern auch private Untiefen navigieren müssen. Frau Reitlinger unterhält seit drei Jahren mit der Genehmigung ihres impotenten Mannes eine Affäre zu einem anderen, ebenfalls verheirateten Mann. Alischa ist hingegen verliebt in ihre beste Freundin, die wiederum als Escort arbeitet und von den Privilegien ihrer Freundin in ihrer Plattenbauwohnung freilich nur träumen kann.

Dass sich all diese Charaktere im Verlauf des Romans immer wieder über den Weg laufen, kann man durchaus konstruiert finden. Aber Kraussers süffisant-einnehmender Erzählstil lässt dies nicht weiter hinterfragen. Trennungen, Verbrennungen ist gewissermaßen eine literarische Soap Opera, vollgestopft mit menschlichen Dramen, die mit einer großen Portion Humor gewürzt werden.

Dabei werden auch die Dilemmata unserer Zeit sichtbar und die umkämpfte Frage, wie wir eigentlich leben wollen. Und das geht über die schnöde Frage, ob die traditionelle Familie noch das Rezept zum Glück ist, weit hinaus. Am interessantesten, wenngleich auch plakativsten, wird dies an Alischa und ihrem Verhältnis zu ihrem Vater – dem ominösen alten weißen Mann mit Geld – und ihrer weniger privilegierten Freundin Caro deutlich.

Wenngleich Twitter keinerlei Rolle in Trennungen, Verbrennungen spielt, ist Alischa das Abziehbild eines in der Filterblase gefangenen Social Justice Warriors. Dass sie selbst die Privilegien ihres wohlhabenden Vaters nutzt ist nur eine von vielen Ironien. In einer köstlichen Szene lässt Krausser sie bei einem Gedichtwettbewerb antreten. Dass die selbsternannte Poetin sich eigentlich nicht wirklich für Lyrik interessiert, ist nur der Anfang ihrer Demaskierung. Ihr Gedicht besteht eigentlich nur aus Parolen. Die Frage eines – oh weh – männlichen Zuschauers, ob sie ihre Antifa-Lyrik hyperironisch meint, versteht sie nicht. Die Kritik an ihrer Grammatik versucht sie mit der sinnigen Aussage auszukontern, dass es keine falschen Konjunktive gibt, weil es auch keine illegalen Menschen gibt. Die alles und jeden als frauenfeindlich, kapitalistisch und rassistisch kritisierende Frau findet sich unangreifbar – denn jede gegen sie gerichtete Kritik ist eben genau das. Hier inszeniert Krausser die Verunmöglichung gesellschaftlichen Diskurses auf eine Weise, die ebenso tragisch wie amüsant ist. In Alischa klafft letztlich eine Leere, die niemand füllen wird – die unschönen Aspekte des Lebens lässt sie nicht an sich ran. Wie Twitter befindet sie sich in einem permanenten Zustand der Empörung, der selbst von der besten Freundin nicht halt macht. Dabei ist ihre in feministischer Sprache gekleidete Kritik an der Freundin Caro und deren Sexualleben nur Eigennutz: Sie will sie nur für sich selbst. Hier haben wir es letztlich mit einer privilegierten Frau zu tun, die die weniger gut situierte Freundin kontrollieren und für sich allein will.

Als Leser hält man es da dann doch lieber mit Professor Reiniger:

Ihr moralinsaures Geschwalle ging ihm, wenn er ehrlich war, schwer auf den Sack (75).

Auch wenn man manchmal Schwierigkeiten hat, die Augen auf den Zeilen zu lassen, weil sie sich mit jedem Auftritt von Alischa für immer in den Hinterkopf zu rollen drohen, ist Trennungen, Verbrennungen ein herrlich leichtfüßig zu lesender Roman, der für mich zu den Highlights des ersten Halbjahres 2019 zählt. Empfehlenswert.

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Trennungen, Verbrennungen ist beim Berlin Verlag erschienen.