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Aus dem Nichts das Ich schälen: Andreas Maiers Die Universität

Andreas Meier Die UniversitätEin junger Mann zieht von der Kleinstadt nach Frankfurt am Main, um an der Universität Philosophie zu studieren. Was nach dem Ausgangspunkt eines typischen Bildungsromans klingt, entpuppt sich als Inversion dessen: In Andreas Maiers neuem Roman Die Universität bestimmen Lethargie und endloses Grübeln das Dasein seines Protagonisten – der mit seinem Urheber mehr als nur den Namen teilt.

Die Universität als Roman für sich allein zu beurteilen, ist kein einfaches Unterfangen. Denn bei dem 140 Seiten schmalen Buch handelt es sich um den nunmehr sechsten Teil der elfteiligen autobiografischen Saga Ortsumgehung. Von Teil zu Teil zieht Andreas Maier größere Kreise, angefangen mit Das Zimmer über Der Ort und nun zur Großstadt in Die Universität. Leser mit Vorwissen werden dem neuen Teil der Serie wahrscheinlich mehr abgewinnen können als Neueinsteiger, obwohl Die Universität auch für sich genommen durchaus interessant ist.

Der Wechsel vom ländlichen zum urbanen Lebensumfeld, weg vom Elternhaus in eine eigenen Wohnung, markiert für die meisten jungen Menschen eine Zäsur, einen Übergang in eine aufregende Phase, die von neuen Erfahrungen, Versuchen und Irrtümern geprägt ist. Doch Andreas kommt in Die Universität schon auf den ersten Seiten ins Zaudern. Der Roman eröffnet am Bahnhof. Es sind Semesterferien und der Erzähler möchte nach Südtirol reisen. Stattdessen aber sitzt er auf einer Bank und verliert sich in den Überlegungen und Kommentaren, die sein “innerer Meta-Ebenen-Kuckuck” von sich gibt (10). Der Zug fährt schließlich ohne den jungen Mann ab. Die Universität ist wie sein Protagonist eine eher verkopfte Angelegenheit. Eine stringente Handlung, die den Leser durch die Erzählung führt, gibt es nicht – die Reise, die viele Bildungsromane kennzeichnet, ist hier rein geistig.

Anstelle nach Südtirol zu fahren, fährt Andreas in einen Nachbarort, um dort einer alten Liebe, der “Buchhändlertochter”, nachzustellen. Auch diese Unternehmung bleibt ohne Konsequenz. Die weiteren Kapitel des Romans nehmen den Leser mit in das Philosophie-Seminar von Karl Otto Apel, zur Wohnungssuche und schließlich zur pflegebedürftigen Witwe Theodor Adornos, Gretel.

Andreas ist in diesen Situationen weniger handelnde Person als Beobachter, der beispielsweise scharfsinnig den Jargon und die Rollenspiele seiner Kommilitonen einfängt, über Subjekt-Objekt-Beziehungen philosophiert, auf seiner Matratze liegend vor sich hin träumt oder sich als Schriftsteller versucht:

Ich versuchte immer wieder, einen bestimmten Text zu schreiben. Er handelte von einer leeren, isolierten und konturlosen Person. Meist saß sie in einem leeren Zimmer und erzählte von einem leeren, isolierten, konturlosen Tagesablauf – einem Tagesablauf ähnlich dem meinen, wie es schien (61).

Die Schreibversuche des jungen Andreas werden vom Roman Die Universität gespiegelt. Denn Andreas selbst bleibt über weite Strecken des Textes isoliert, seine Tagesabläufe – er öffnet zur Mittagszeit bereits das erste Bier – konturlos. Bei seinen Schreibversuchen kommt er nicht über den Anfang hinaus, “es gab keinen erzählerischen Gegenstand außer eben dem der Leerheit” (61).

Der Autor Andreas Maier ist anders als sein jüngeres, fiktionalisiertes Ich natürlich mehrere Schritte weiter. Er hat die Leere mit Beobachtungen und Grübeleien zum Ich selbst angefüllt. “Ich, das ist der Mittelteil des Wortes Nichts”, sind dann auch die Worte, die er seinem Text programmatisch vorangestellt hat. Und tatsächlich ist dieses Ich, das diesen Text erzählt, nichts weiter als eine sprachliche (Re-)Konstruktion des Autors. Auch in der Welt des Textes gibt es wenig, das dem Protagonisten Kontur verleihen könnte, da er kaum in Interaktion zu anderen Menschen steht. Das ändert sich lediglich mit der Aufnahme seines Studentenjobs, als er auf die von einem Selbstmordversuch schwer geschädigte Gretel Adorno trifft, bei der ihm etwas gelingt, was ihm selbst schwer zu fallen scheint: Sie zurück in die Welt zu holen.

Die Universität ist ein kurzer Roman, der sich trotz seines intellektuellen Anliegens auch durchaus kurzweilig liest. Dennoch hätte dem schmalen Band etwas mehr Fleisch auf den Knochen gut getan: Immer wieder tauchen Personen auf, die blass bleiben und deren Bedeutung sich nicht völlig erschließt. Kenner der vorhergehenden fünf Romane dürften sie aber bekannt sein und dieses Hintergrundwissen wird dem Leseerlebnis des aktuellen Textes sicher etwas mehr Tiefenwirkung verleihen. Die Universität ist ein stark selbst-referentieller Text, der nicht nur auf die anderen Teile der Saga anspielt, sondern auch auf seine eigene Konstruktion als Text hinweist und immer wieder den Suhrkamp-Verlag, bei dem Die Universität erschien, aufnimmt. Gelegenheitsleser, die von Romanen eine Plot-getriebene Handlung erwarten, werden damit eher wenig Freude haben, Germanisten umso mehr. Gelegenheitsleser, die ein bisschen über Identität sinnieren möchten, dafür aber nicht auf eine spannende Handlung verzichten wollen, sind beim ebenfalls dieses Frühjahr erschienenen Jack von Anthony McCarten wohl besser aufgehoben.

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Die Universität ist als Hardcover im Schutzumschlag bei Suhrkamp erhältlich.