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Die Korrespondenz eines ambitionierten jungen Trinkers: J.D. Daniels [Kritik]

J.D. Daniels – Die KorrespondenzMan(n) fühlt sich nicht: Der amerikanische Schriftsteller J.D. Daniels legt in seinem Debüt sechs „Briefe“ vor: Vier davon sind autobiografische Essays, die seine Reise zu sich selbst beschreiben und dem Leser zur gleichen Zeit etwas über das moderne Leben erzählen. Der Weg führt ihn in einen Kampfsportclub, in die alte Heimat Kentucky, zu einer Selbsthilfegruppe und über das Mittelmeer.

Das moderne Leben scheint selbst wie ein Meer. Fixe Navigationspunkte sind schwer zu finden, jeder ist seines eigenes Glückes Schmied. Die Gefahr besteht, dass man ziellos umher driftet, wie Treibholz an einen Strand gespült wird, bevor einen die nächste Welle wieder hinausträgt. J.D. Daniels präsentiert sich in seinen sechs „Briefen“ (vier Essays, zwei Kurzgeschichten) als schiffsbrüchiger Suchender, der es versteht, seine mal tristen, oftmals aufregenden Erlebnisse in eine kompakte, teils derbe und humorvolle Sprache zu packen. Streckenweise erinnert er etwas an Bukowski, nicht nur sprachlich, sondern auch inhaltlich: Alkoholiker, Prostituierte und hartgesottene Männer bevölkern diese Geschichten.

Der erste Text, „Brief aus Cambridge“, nimmt den Leser mit in ein Kampfsport-Gym, wo Daniels brasilianisches Jiu-Jitsu erlernen möchte. Für einen Lehrbeauftragen eine eher schroffe Umgebung, mit der, wie sich zeigen wird, Daniels aus seiner Kindheit in Kentucky nicht gänzlich unvertraut ist. Kämpfen zu lernen, bedeutet einstecken zu lernen:

In der ersten Stunde bringen sie einem bei, sich selbst die Scheiße aus dem Leib prügeln zu lassen. Weitere Lektionen gibt es nicht.

Damit scheint Daniels etwas aus der Jugend nachholen zu wollen. In einer zwischengeschobenen Rückblende erzählt er, wie einem damaligen Freund „die Scheiße aus dem Leib“ geprügelt wurde, während er nur dabeistand. Der Kampfsport wird zum Mittel, sich mit der eigenen Machtlosigkeit auseinanderzusetzen. Die Untätigkeit vergangener Tage spiet dabei ebenso eine Rolle wie der bis dahin unerfüllt gebliebene Wunsch, ein Schriftsteller zu sein:

Ich ließ Chancen zu beiden Seiten des Weges liegen, und niemand hatte schuld daran als ich allein, und ich wurde achtundzwanzig, neunundzwanzig, dreißig und einunddreißig und hatte bald nur nur einen einzigen Wunsch, nämlich mal irgend jemandem so richtig aufs Maul zu hauen […] Kampfsport war ein adäquater Ersatz für Schreiben.

Die neue Umgebung verändert aber auch Daniels: Das Training raubt ihm die Energie, die Freundin vermisst den „verträumten Bücherwurm“, in den sie sich verliebt hat, weil dieser es inzwischen„nett“ findet, beim Sparring seinem Gegenüber die Rippen zu brechen. Die innere Unruhe lässt sich aber nicht totschlagen: Am Schluss steht die Erkenntnis, dass wie die unter Kontrolle gebrachte Alkoholsucht auch hier der Durst nie schwindet.

Der Kampfsport markiert dann auch das Ende des bildungsbürgerlichen Lebens an der Universität. Im folgenden Text, „Brief aus Mallorca“, gibt er seine Stelle als Dozent auf, weil er eine Studentin zum weinen gebracht hat:

Und als sie weinend davonlief, begriff ich, daß ich sie angeschrien hatte, damit ich nicht mit ihr ins Bett gehen mußte.

Dies ist eine der Sequenzen, in der die „toxische Männlichkeit“, die im Klappentext des Buchs aufgegriffen wird, aufblitzt. Daniels erscheint als Mann, der nicht weiß, wohin mit sich. Und sobald die geforderte Impulskontrolle allzu sehr strapaziert wird, wird es für die Menschen in seiner Umgebung ungemütlich. Funkt ihm sein männlicher Körper dazwischen, wenn es gilt, sich sozial, angepasst und kooperativ zu zeigen? Gleich zu Beginn des Textes heißt es: „Ich hatte einen Körper. Das war ein Problem.“

Er verlässt die eher feminin kodierte Lehrtätigkeit nach dem Vorfall mit der Studentin. Bald darauf sticht er mit einem schroffen Kapitän aus Tel Aviv („ein vortrefflicher Mann [..], wortkarg und arbeitsam“) zur See. An Bord ruft niemand seinen Namen, wenn seine Arbeitskraft nicht gebraucht wird. Es dominiert das Körperliche, allerdings in eher unappetitlichen Facetten. Es folgend längere Passagen, in denen Daniels übers Scheißen schreibt – auf hoher See und als „ambitionierter Trinker“, der in einer Erinnerung dem ebenfalls alkoholkranken Vater aushilft, wenn dieser sich selbst beschmutzt.

Dieser Vater blitzt in vielen dieser Geschichten auf, in denen die Mutter wie auch Frauen ganz allgemein kaum vorkommen. Sie existieren in erster Linie in der Peripherie dieser Reportagen und Erzählungen, oftmals in Gestalt enttäuschter oder wütender (Ex-)Partnerinnen, die alsbald das Weite suchen – was in Anbetracht der ausgestellten Männlichkeit durchaus als Akt der Vernunft zu deuten ist. Der wie ein Geist durch diese Schilderungen spukende Vater diente im Vietnamkrieg und ist wie die Kameraden aus dem Sportclub und der Seefahrt eine schroffe Gestalt – die wie die Heimat Kentucky von der heutigen Zeit zurückgelassen wirkt. Man könnte auch sagen, ein Relikt ausgemusterter Männlichkeit. Der Sohn erinnert ihn als furchteinflössend, der Daniels‘ Freunde als „langhaarige Schwuchteln“ bezeichnet und dem Sohn droht, ihm den Kopf zu scheren. In „Brief aus Kentucky“ kehrt Daniels – ursprünglich um eine Reportage über die Serie Justified zu schreiben – an den Ort dieser Kindheit zurück. Der Vater ist inzwischen in Florida, die Freunde von damals an Drogen zerbrochen. Die alten Schauplätze sind verfallen und kaum wiederzuerkennen. Im Radio sind unaufhörlich Prediger zu hören. Man kennt die Region unter anderem als „Bible Belt“ – heute könnte man auch sagen: Trump Country. Hier wohnt heute eine abgehängte weiße Mittelschicht, die sich an Gott und Selbtstgebranntem festhält. Es ist in gewisser Weise auch die Wiege einer Männlichkeit, die in bildungsbürgerlichen Kreisen als toxisch gilt und die der Autor nicht gänzlich abstreifen kann.

Sind diese sechs Briefe also die Korrespondenz eines abgehängten „angry white man“ mit sich selbst? Nein, denn Daniels schildert in diesen Reportagen seine Erlebnisse in der Welt, ohne dabei die Schuld bei „dem Anderen“ zu suchen. Er klagt nicht an, fordert kein Mitleid ein. Vielmehr arbeitet er sich an seiner eigenen empfundenen Dysfunktionalität ab (Alkoholmissbrauch, gescheiterte Beziehungen, fehlende berufliche Erfüllung). Und das zum Vergnügen des Lesers nicht ohne Selbstironie: An einer Stelle beschreibt er sich als „ambitionierter junger Trinker, der sich schwertat mit Frauen, aber unbefangen kotzte.“ Ohne diese Selbstironie und entwaffnende Offenheit wäre die Lektüre dieser sechs Briefe auch ein eher dröges Unterfangen. Sie sind eine Einladung in das Leben dieses Mannes. Worauf er damit aber hinaus will, überlässt er allerdings dem Leser: Er schildert Erfahrungen, reflektiert diese aber selten. Das ist durchaus erfrischend, wenngleich man sich an mancher Stelle einen Aha-Moment wünschen würde. Aber wenn uns Die Korrespondenz eines lehrt, dann dass das Leben eben kein Wunschkonzert ist.

Die Korrespondenz erschien 2017 im Suhrkamp Verlag. Dort ist auch ein längerer Auszug aus dem Buch zu lesen.